Interview zur Notfallpraxis in Düsseldorf „Kein Patient bleibt nachts unversorgt“

Die geplante Schließung der Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte am Evangelischen Krankenhaus in den Nachtstunden sorgt für Aufregung in Düsseldorf. Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein spricht über Zukunft der Notfallversorgung.

 Die Notfallpraxis am EVK soll geschlossen werden. Frank Bergmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, erklärt die Hintergründe der Pläne.

Die Notfallpraxis am EVK soll geschlossen werden. Frank Bergmann, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, erklärt die Hintergründe der Pläne.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Vertreter der Politik haben auf die Nachricht verwundert reagiert – gerade angesichts der schwierigen Zeiten für das Gesundheitssystem. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, Frank Bergmann, spricht über die Hintergründe der geplanten Schließung. Zum Gespräch bittet er an einen großen Tisch, an dem ausreichend Abstand gehalten werden kann.

Herr Bergmann, die KV ist für die Entscheidung, die Notfallpraxis nachts nicht mehr geöffnet zu lassen, scharf kritisiert worden. Bleiben Sie dennoch dabei?

Frank Bergmann Es bleibt dabei – und es gibt auch keinen vernünftigen Grund, das anders zu entscheiden. Dass die Düsseldorfer Notfallpraxis am Evangelischen Krankenhaus bislang auch nachts geöffnet hatte, war eine große Ausnahme im Notdienst-Angebot der KV – und sie ist nicht nötig, um eine nach wie vor gute ambulante Versorgung zu gewährleisten. In Aachen beispielsweise gibt es seit 20 Jahren „nur“ einen nächtlichen Fahrdienst, das funktioniert problemlos. Auch die Kölner kennen es nicht anders. Dort haben wir gerade eine recht unübersichtliche Zahl von Praxen etwas konzentriert und Portalpraxen eingerichtet. Aber auch die schließen am späten Abend. Patienten, die danach versorgt werden müssen, wenden sich an die Hot­line 116 117, die bei Bedarf einen Hausbesuch organisiert. Ich wüsste nicht, warum das in Düsseldorf nicht auch gut funktionieren sollte.

Warum kommt jetzt die Entscheidung, die Versorgung in Düsseldorf umzustrukturieren?

Bergmann Wir sind seit rund drei Jahren dabei, die Notfallversorgung im Rheinland neu aufzustellen. Wir haben mit dem NRW-Gesundheitsministerium, den Ärztekammern und den Krankenkassen dazu klare Vereinbarungen getroffen. Dazu gehört, bis 2022 flächendeckend sogenannte Portalpraxen in Krankenhäusern einzurichten, bei denen Patienten über einen gemeinsamen Empfang in die ambulante oder stationäre Versorgung gelangen. Zudem ist die Rufnummer 116 117 bundesweit 24 Stunden erreichbar, es gibt dazu auch eine App und eine Webseite. Unter dieser Nummer bekommt man auch nachts eine sofortige Einschätzung der medizinischen Probleme und kann bei Bedarf einen Hausbesuch eines Arztes vereinbaren. Dieser Fahrdienst steht die ganze Nacht zur Verfügung, kein Patient bleibt nachts unversorgt. Wir ziehen uns nicht zurück.

Viele Leute berichten aber, wenn sie die 116 117 anrufen, werden sie in die Notfallpraxis geschickt - das geht dann ja nicht mehr. Was dann?

Bergmann Unter der 11 6 11 7 wird inzwischen eine qualifizierte, bundesweit einheitliche Ersteinschätzung des Gesundheitszustandes vorgenommen. So kann geschaut werden, wie dringend die Versorgung eigentlich ist. Das Ergebnis dieser Einschätzung kann sein, dass ein sofortiger Arztbesuch sinnvoll ist. Und wenn das nachts um 3 Uhr ist und die Notfallpraxis ist eben nicht offen, dann wird ein Arzt den Patienten zu Hause aufsuchen. Das Ergebnis kann auch sein, dass es reichen wird, am nächsten Tag zum eigenen Hausarzt zu gehen. Nur in seltenen Fällen kommt es vor, dass unsere Arztrufzentrale direkt zur 112 weiterleitet, weil ein dringender Notfall vorliegt.

Schauen wir auf einen weiteren Grund, dass viele sauer über die Nachtschließung sind: Sie wurde nicht aktiv von Ihrer Seite kommuniziert, sondern ist wegen der Sorgen des ebenfalls betroffenen zahnärztlichen Notdienstes bekannt geworden.

Bergmann Diese Entscheidung soll ja auch nicht morgen oder übermorgen umgesetzt werden, sondern kommt zum 1. Juli. Sie wäre bis dahin selbstverständlich rechtzeitig klar und deutlich mitgeteilt worden. Dass es nun so an die Öffentlichkeit gekommen ist, begrüße ich natürlich nicht. Wir hätten das Ganze lieber mit allen nötigen Begleitinformationen geordnet den Bürgern mitgeteilt. Dass das Thema Notfallversorgung immer emotional ist, wissen wir.

Wie stark besucht ist die Düsseldorfer Notfallpraxis denn in den Nachtstunden?

Bergmann Wir haben festgestellt, dass nachts überwiegend nur Patienten in einstelliger Zahl kommen, meistens vier oder fünf. Das hat unsere Entscheidung bestätigt. In dieser Zahl können die Patienten in Notfällen auch im Krankenhaus Hilfe bekommen oder sich an die 11 6 11 7 wenden. An Samstagen oder Sonn- und Feiertagen ist es auch abends schon mal mehr, in der Regel wird es aber nach 19 Uhr wirklich deutlich ruhiger. Das sehen wir aktuell auch im augenärztlichen Notdienst, der inzwischen an der Augenklinik der Düsseldorfer Uniklinik angeboten wird. Die Arbeitsteilung mit den Krankenhausärzten funktioniert dort sehr gut.

Der Zeitpunkt für die Debatte ist natürlich denkbar ungünstig, weil gerade die Belastung der Krankenhäuser angesichts der Corona-Krise offensichtlich ist.

Bergmann Das stimmt natürlich, aber die Krankenhäuser sind in der Corona-Krise vor allem dort besonders belastet, wo tatsächlich Intensivbetten benötigt werden. Wenn mitten in der Nacht ein Notfall in Zusammenhang mit einem diagnostizierten Corona-Fall auftritt, dann wird dieser in der Regel so gravierend sein, dass eine Aufnahme im Krankenhaus wegen Atemnot erforderlich sein wird. Alle anderen Beratungsthemen zu Corona können wir ambulant abfangen, wir haben zum Beispiel für die Hotline 116 117 eine Extraschleife geschaltet, damit Patienten dort unmittelbar Informationen zum Thema Corona bekommen können.

Ist es nicht auch so, dass viele Ärzte gar nicht gerne Dienst in der Notfallpraxis machen und sich lieber freikaufen?

Bergmann Gerade in Düsseldorf, wo so viele Kollegen zur Verfügung stehen, ist es eigentlich völlig unkompliziert, die Dienste in der Notfallpraxis zu besetzen, weil jeder bei einem größeren Pool entsprechend selten Dienst machen muss. Es spielt aber sicherlich auch eine Rolle, dass das Personal in der Praxis leider gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt war. Wenn man beispielsweise in Richtung Kleve oder Goch schaut, ist die Dienstbelastung dort viel größer, weil die Ärzte viel öfter Dienst machen müssen – das ist deutlich schwieriger. Das macht es nicht unbedingt leichter, die nächtlichen Dienste zu besetzen.

Warum ist der Nachtdienst in dem Punkt problematischer?

Bergmann Nachts gibt es vermehrt aggressive Patienten, sicherlich auch im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenkonsum. Es ist aber auch insgesamt so, dass die Gewaltbereitschaft gegenüber medizinischem Personal steigt; wir hatten ja auch schon gewalttätige Auseinandersetzungen vor Abstrichzentren.

Blicken wir auf die Einrichtung von Portalpraxen bis 2022. In Düsseldorf steht immer die Frage im Raum, ob es dann mehr als eine wird und wo sie sich befinden wird – ob weiter am EVK oder beispielsweise an der Uniklinik. Haben Sie da schon Ideen?

Bergmann Ideen gibt es dazu eine ganze Reihe, aber sie sind noch nicht spruchreif. Einen zweiten Standort würde ich noch nicht ausschließen, aber das wird sich aus dem Gesamtkonzept ergeben. Wir müssen schauen, wo wir Kinderambulanzen einrichten, auch da würde es sich ja anbieten, dass man möglicherweise zwei Standorte macht. Auch auf die Versorgungssituation in der jeweiligen Umgebung kommt es an.

Also könnte es auch auf die Uniklinik als Standort hinauslaufen?

Bergmann Natürlich ergäbe das einen gewissen Sinn, weil dort alle Disziplinen vertreten sind. Aber wie gesagt, es gibt noch keine Vorfestlegung. Zumal es auch räumliche Vo­raussetzungen gibt, die vor Ort erfüllt werden müssten.

Nicole Lange stellte die Fragen.

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