Dagmar Wandt "Nicht jedes Kind muss aufs Gymnasium"

Düsseldorf · Viele Eltern fragen sich: Was ist die beste Schule für mein Kind? Die Leiterin des Schulverwaltungsamtes gibt Antworten.

Dagmar Wandt: "Nicht jedes Kind muss aufs Gymnasium"
Foto: Bretz, Andreas

Frau Wandt, mehr Schüler, mehr benötigte Räume, neue Gebäude, enorme Ausgaben und immer wieder offener Protest, weil zugesagte Sanierungs- oder Erweiterungsprojekte nicht angepackt wurden: Beim Thema Schulen ist mächtig Druck im Kessel. Müssen sich Eltern, die ihr Kind auf eine Düsseldorfer Schule schicken wollen, Sorgen machen?

Wandt Nein. Das müssen sie nicht. Wir bauen, erweitern, sanieren, beschleunigen Projekte. Das gilt für alle Schulformen. Natürlich stehen wir vor enormen Herausforderungen. Aber das Thema genießt Priorität. Es geht voran. Ganz ohne Übergangslösungen, wie Modulbauten, werden wir es aber nicht meistern.

Was ist der Kern dieser Herausforderungen?

Wandt Düsseldorf gehört mit Köln, Bonn und Münster zu den vier Städten in NRW, die wachsen. Bis 2020 soll es allein an Grundschulen und in der Sekundarstufe I der weiterführenden Schulen, also bis Klasse 10, rund 6500 Schüler mehr geben. Das liegt am Zuzug junger Familien und an der steigenden Geburtenrate. Darauf reagieren wir.

Wie?

Wandt Wir erhöhen die Zügigkeit, das heißt die Zahl der Klassen pro Jahrgang, an einer Reihe von Grundschulen und an einigen Gymnasien. Allein für die Grundschulen planen wir 55 zusätzliche Räume, noch mal 136 sind es in der Sekundarstufe I. Außerdem schaffen wir ganz neue Schulen.

Wo?

Wandt An der Schmiedestraße in Oberbilk entsteht auf dem Gelände der nach und nach auslaufenden Hauptschule ein neues Gymnasium, an der Stettiner Straße in Garath tritt eine neue Gesamtschule an die Stelle der Fritz-Henkel-Hauptschule. Außerdem erweitern wir das Georg-Büchner-Aufbaugymnasium, das bisher nur eine Oberstufe hat, zu einer Schule mit Sekundarstufe I. Hinzu kommt das Jüdische Gymnasium, das nach Angaben der Jüdischen Gemeinde - sie ist der Schulträger - im August 2016 im Stadtteil Rath an den Start gehen soll.

Hand aufs Herz, wie lange wird es noch Hauptschulen in Düsseldorf geben?

Wandt Möglicherweise länger als manche denken. Das wird davon abhängen, ob weitere Gesamtschulen an den Start gehen und ob vor dem Hintergrund der Inklusion die Förderschulen weitere Jungen und Mädchen an die Hauptschulen abgeben. Hinzu kommt: Diese Schulform übernimmt einen Großteil der Vorbereitungs-Klassen, in denen vor allem Flüchtlinge unterrichtet werden. Das stärkt ihre Position.

Apropos. Sind die Flüchtlinge bei den Prognosen schon berücksichtigt?

Wandt Bedingt. Unsere Berechnungen mit dem Plus von 6500 Schülern basieren auf Zahlen aus dem Frühjahr, bilden also den enormen Zuzug der vergangenen Monate noch nicht ab.

Gibt es zu diesem Thema aktuelle Zahlen?

Wandt Ja. Allein in den Monaten August, September und Oktober gab es 600 Neuzuweisungen von Migranten mit mangelnden Sprachkenntnissen - darunter auch einige Kinder aus EU-Ländern - an Schulen. Das entspricht der Zahl, die wir sonst in einem ganzen Kalenderjahr auf die Schulen verteilen.

Die Kosten für die bereits beschlossenen schulorganisatorischen Maßnahmen (SOM) der Pakete I und II sollen bei voraussichtlich 83 Millionen Euro liegen. Für das jüngste Paket mit dem Kürzel SOM III, das die Erweiterung einiger Grundschulen und Gymnasien beinhaltet, wurde nur ein Grundsatzbeschluss auf den Weg gebracht. Der schweigt sich über Kosten aus. Wie teuer wird's denn?

Wandt Es wird sicher auf einen dreistelligen Millionen-Betrag hinauslaufen.

Im oberen oder unteren Bereich?

Wandt Mehr als 100 Millionen Euro werden es sein. Genaueres kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.

Dann haben die Politiker also die Katze im Sack gekauft...

Wandt Nein. Sie halten bis zuletzt den Daumen drauf. Das bedeutet: Sie können im weiteren Verlauf Beschlüsse fassen, die Projekte ändern, abspecken oder ganz kippen.

Und wozu dann der Grundsatzbeschluss?

Wandt Um schneller zu sein. Genau das ist die Erwartung an uns. Und die wollen wir erfüllen.

Schauen wir auf die einzelnen Schulformen. Was sind die Trends?

Wandt Fast die Hälfte aller Düsseldorfer Kinder wechseln nach der vierten Klasse aufs Gymnasium. Ähnlich gefragt ist die Gesamtschule. Die Hauptschulen haben meist rückläufige Zahlen, bei Förderschulen ist das ähnlich - Stichwort Inklusion. Realschulen und Berufskollegs sind sehr stabile Schulformen.

Schadet dieser Anmeldungsdruck den Gymnasien?

Wandt Die Frage ist eher, ob eine zu hohe Erwartung der Eltern den Kindern nicht manchmal schadet.

Wie meinen Sie das?

Wandt Schulleiter und Lehrer berichten mir, dass eine Reihe von Schülern das Gymnasium nach ein, zwei oder drei Jahren wieder verlassen müssen. Viele Eltern wollen nur das Beste, sehen das Abitur als Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben. Aber so einfach ist es nicht: Die gewählte Schulform muss zu den Begabungen des Kindes passen. Nicht jeder kann und will Arzt, Lehrer, Rechtsanwalt oder Top-Manager werden. Die Gesellschaft braucht genauso gut engagierte Handwerker und Industriekaufleute. Außerdem bleibt ein Abitur auch nach Klasse 10 jederzeit möglich. Wir haben ein durchlässiges Bildungssystem.

Welche Rolle spielt heute der offene Ganztag?

Wandt Eine große. Immer mehr Frauen sind berufstätig. Entsprechend wächst der Bedarf.

Und halten Sie Schritt?

Wandt Obwohl Schülerzahl und individueller Bedarf steigen, versuchen wir die Versorgungsquote von 63 Prozent zu halten. Das bedeutet: Wir richten fortlaufend Zusatzgruppen ein, auch wenn die Quote gleich bleibt. Engpässe gibt es. Vor allem im Stadtbezirk 3. Insgesamt sind wir bei diesem Thema noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt.

Im Februar sind die Anmeldungen für die weiterführenden Schulen. Bis dahin müssen Eltern wissen, was sie wollen. Eine große Rolle spielt der "Ruf" einer Schule. Was macht eine Schule beliebt? Warum kann sich die eine vor Anmeldungen kaum retten, während die andere für jeden Interessenten dankbar ist?

Wandt Um es klar zu sagen: Der "Ruf" ist nicht nur äußerst subjektiv, er ist ebenso unberechenbar. Diese Art von Mund-zu-Mund-Propaganda hat ihre eigenen Gesetze. In jüngerer Zeit verstärkt durch die sozialen Medien. Ich würde das tiefer hängen. Hilfreicher sind da schon die jeweiligen Schulprogramme. Am besten ist jedoch: Man nutzt die bis Anfang Februar laufenden Tage der offenen Tür oder andere Gelegenheiten, um sich selbst ein Bild zu machen oder spaziert bei passender Gelegenheit einmal über den Schulhof. Oder spricht mit Eltern, die bereits Kinder an der Schule haben.

Versuchen Sie doch mal eine Erklärung. Warum hat die eine Schule in einem Jahr nur 70 Interessenten, die andere 240. Und was verursacht die teils beachtlichen Schwankungen auch an ein- und derselben Schule?

Wandt (schmunzelt) Das würde ich auch gerne wissen. Im Einzelfall kann es eine Rolle spielen, wenn es mal öffentlich gewordenen Ärger gab. Oder eben umgekehrt eine besondere Auszeichnung. Das Ganze bleibt wegen der Mund-zu-Mund-Propaganda unberechenbar. Was wir auf jeden Fall sagen können, ist, dass Eltern sich antizyklisch verhalten. Hatte Gymnasium X einen sehr hohen Überhang und musste Kinder abweisen, melden manche Eltern ihren Nachwuchs im Jahr darauf lieber gleich am Gymnasium Y im Nachbarstadtteil an.

Geben Sie Hilfestellung?

Wandt Für die Eltern aller Viertklässler haben wir die Broschüre "Wohin nach der Grundschule?" aufgelegt. Sie enthält auch Schwerpunkte und Besonderheiten der einzelnen Schulen. Hilfe bietet auch die städtische Internetseite. Unter dem Punkt "Schulen in Düsseldorf" finden Interessierte neben Adressen und anderen Basisinformationen auch Links zu den Internetauftritten der einzelnen Schulen.

Sie weisen auswärtige Kinder an Schulen mit genug eigenen Anmeldungen ab. Sorgt das noch für Ärger bei den Nachbarn?

Wandt Nein. Einige Nachbarn haben die Regelung auch eingeführt, es hat sich eingespielt. Und wir halten diese Einschränkung nach wie vor für notwendig.

Sie waren bis 2012 Gleichstellungsbeauftragte. War das der bessere Job?

Wandt Beide Jobs lassen sich nicht miteinander vergleichen. Richtig ist: Ich habe nicht erwartet, dass die Schulfragen solch eine Dynamik entwickeln. Aber richtig ist auch: Trotz hoher Belastungen kann ich gestalten. Es bewegt sich viel, Erfolge sind sichtbar. Und das macht mir nach wie vor große Freude.

JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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