U79 droht das Aus Nahverkehr vor dem Kollaps

Düsseldorf · Mit großzügigen Zuschüssen hat der Bund den Aufbau des Stadt- und U-Bahn-Netzes in NRW finanziert. Aber an Rücklagen für die Sanierung hat in den Boomzeiten, in denen die Bahnen gebaut wurden, niemand gedacht. Jetzt stehen zahlreiche Strecken in der Region vor dem Aus.

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Foto: Rheinbahn/Grafik: Elsa Dittert

Dass man in NRW auch ohne Auto gut leben kann, liegt an dem dichten Bus- und Bahnsystem im Land: 2,4 Milliarden Fahrgäste legen in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland jährlich 21 Milliarden Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück — 60 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren. Jetzt droht der Erfolgsgeschichte ein jähes Ende: "Dutzende von wichtigen Stadt- und U-Bahn-Strecken im Land stehen vor dem Aus", sagt Dirk Biesenbach, NRW-Chef des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen. Eine davon ist die U79, die zwischen Düsseldorf und Duisburg verkehrt.

Den Grund für den Niedergang der Stadtbahnen können die Fahrgäste überall im Land studieren: An den Stationen bröckelt der Beton, Rolltreppen stehen still, die Züge holpern über veraltete Gleise. Hinzu kommt der für Laien unsichtbare Renovierungsbedarf bei der Signaltechnik und den Tunneln. Der bundesweite Investitionsstau wird in einer gemeinsamen Studie von 13 Bundesländern, dem Deutschen Städtetag und der Verkehrsunternehmen auf 2,35 Milliarden Euro beziffert. Allein die Stadtbahnen in NRW brauchen laut Biesenbach in den nächsten fünf Jahren 800 Millionen Euro. Geld, das niemand hat.

Biesenbach nennt neben der U79 von Düsseldorf nach Duisburg ein weiteres prominentes Beispiel für eine Strecke, die zu sterben droht: Die U18 zwischen dem Ruhrschnellweg und der Mülheimer Stadtgrenze in Essen. In beiden Fällen sei "der Sanierungsbedarf inzwischen so groß, dass der Betrieb ohne zeitnahe Millionen-Investitionen eingestellt werden muss".

Auch das NRW-Verkehrsministerium ist alarmiert. "Das Problem stellt sich tatsächlich, die Verkehrsminister der Länder befassen sich damit", sagt Staatssekretär Horst Becker (Grüne). Biesenbachs Akten dokumentieren Dutzende brisanter Fälle im ganzen Land. Aber über die darf er nicht sprechen, wenn er sich nicht mit Hunderten von Kommunalpolitikern anlegen will. Die verlangen hinter den Kulissen zwar Geld für die Sanierung, wollen "ihre" Bahnen aber öffentlich nicht als Sanierungsfall dargestellt wissen. Eine eigenwillige Kommunikationspolitik, die im Kampf um frische Mittel für die Bahnen viel Schlagkraft kostet.

Jahrelang konnten die Betreiber der Stadt- und U-Bahnen den Kollaps des Nahverkehrs mit dem Stopfen der schlimmsten Investitionslöcher verhindern. In der Regel auf Pump: Zwölf Millionen Euro pro Jahr muss etwa die Düsseldorfer Rheinbahn pro Jahr in den Ersatz ihres Schienennetzes investieren, obwohl sie nur 180 Millionen Euro pro Jahr umsetzt. "Die Verschuldung der Rheinbahn von aktuell 250 Millionen Euro geht stramm in Richtung 400 Millionen Euro", sagt Biesenbach, der zugleich auch Chef der Düsseldorfer Rheinbahn ist.

Die Wurzel des Übels ist ein Fehler im System. Die meisten der aufwändigen Stadt- und U-Bahnen wurden in den boomenden 1960er- und 1970er-Jahren gebaut. Geld spielte damals kaum eine Rolle: Der Bund beteiligte sich großzügig an den Baukosten und finanzierte sie nicht selten sogar zu 90 Prozent. Entsprechend großzügig planten die Kommunen ihre Bahnsysteme — so dichte Schienennetze wie in NRW kennt man sonst nur von Weltmetropolen wie London oder New York. Aber: Dass große Bahnsysteme auch mit hohen Instandhaltungskosten verbunden sind, wollte damals niemand sehen. "Man hat einfach vergessen, dafür Rückstellungen zu bilden", sagt Biesenbach, "und jetzt droht die Bombe zu platzen".

Die Verkehrsbetriebe selbst hatten in der Vergangenheit keine Chance, die notwendigen Rücklagen selbst zu bilden: Aus politischen Gründen sind die Ticketpreise in der Regel so niedrig, dass die meisten Betriebe Verluste erwirtschaften. Und machen sie doch einmal Gewinn, werden die Überschüsse an die Städte abgeführt. Der Chef der Essener Verkehrs-AG, Horst Zierold, machte deshalb unlängst bei einem Vortrag in Berlin mit unpopulären Vorschlägen auf sich aufmerksam: Für das öffentliche Personennahverkehrs-System (ÖPNV) schlug er eine "ÖPNV-Umweltabgabe" sowie eine finanzielle Zwangsbeteiligung auch von indirekten Profiteuren des ÖPNV wie etwa Arbeitgebern vor.

Folkert Kiepe, Verkehrsexperte beim Deutschen Städtetag, sieht den Bund in der Pflicht: "Der Bund muss den Sanierungsstau beseitigen", so Kiepe, "wir verhandeln gerade mit den Verkehrsministern der Länder eine entsprechende Forderung." Die schlimmsten Schwachstellen bei den Bahn-Systemen seien die Tunnel und die Brücken. "Wenn da nicht bald großflächig saniert wird, stehen Deutschland massenhafte Stilllegungen von Straßen- und U-Bahnlinien bevor."

(RP/jco)
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