Michael Riemer wird pensioniert Die gute Seele des Kinderhilfezentrums geht

Michael Riemer wird nach 45 Jahren pensioniert. Er war Sozialpädagoge, Elternersatz und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit.

 Michael Riemer ging gerne in Anzug und Fliege zur Arbeit. Der gezwirbelte Schnurrbart ist sein Markenzeichen.

Michael Riemer ging gerne in Anzug und Fliege zur Arbeit. Der gezwirbelte Schnurrbart ist sein Markenzeichen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Die Tür zu Michael Riemers Büro steht immer offen. Das schreibt die Hauspolitik so vor, sagt er. Aber es passt auch zum 65-Jährigen, der über vier Jahrzehnte lang – zunächst als Sozialpädagoge, dann als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, im Kinderhilfezentrum Düsseldorf wirkte. Er hatte nicht nur eine offene Tür, sondern auch immer ein offenes Ohr. Als Sozialpädagoge und Betreuer der Wohngruppen prägte er die Leben vieler Kinder. Später arbeitete er in der Öffentlichkeitsarbeit dann mit Herzblut daran, die Tore des Kinderheims zu „öffnen“ und Vorurteile abzubauen.

Nun neigt sich dieses große Kapitel in seinem Leben dem Ende zu. Nach 45 Jahren hat er am Freitag seinen letzten Arbeitstag, danach geht er in Rente. Was er da empfindet? „Traurigkeit“, antwortet er. „Traurigkeit, eine Einrichtung zu verlassen, die mein Leben geprägt hat.“ Und auch er hat mit seinem Einsatz und seiner unkonventionellen Art das Leben an der Eulerstraße nachhaltig beeinflusst. „Man merkte sofort, dass Michael anders ist“, erinnert sich Frank Renz. Der Sozialpädagoge lernte Riemer im Kinderhilfezentrum kennen, als dieser 1977 begann, dort zu arbeiten. Frank Renz war der neue Kollege mit seiner lockeren Art sofort sympathisch. „Der passte überhaupt nicht ins Klischee des Sozialpädagogen.“ Riemer und Renz merkten schnell, dass sie auf einer Wellenlänge waren. „Wir haben nicht alles so bierernst genommen, wie viele in der Sozialpädagogik das tun.“ Wenn beide Nachtschicht hatten und die Kinder in den Wohngruppen schliefen, trafen sie sich in der Küche. „Seine Offenheit“, schätzt Renz am meisten am Kollegen, der zum Freund wurde. Bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein kreisten ihre Gespräche um die Fortuna, Gott und die Welt. Und auch die Schicksale der Kinder waren Thema, gerade wenn die Pädagogik manchmal an ihre Grenzen stieß.

„Natürlich sind mir die Kinder ans Herz gewachsen“, sagt Riemer heute. Manchmal sei es auch schwierig gewesen. Dann hält er einen Moment inne. „Aber man kann Leben und Arbeiten nicht voneinander trennen. Man muss immer bereit sein, auch etwas von sich zu geben, wenn Kind und Pädagoge gut miteinander auskommen möchten.“ Er setzte sich ein für die Kinder, die in den Wohngruppen ein neues Zuhause fanden. Das empfand auch Kerstin Schüler so, die in den 1980ern sechs Jahre im Kinderhilfezentrum lebte. Sie hatte eine schwere Zeit hinter sich und fand in Michael Riemer eine Bezugsperson und sogar ein Ersatzelternteil, wie sie sagt. „Michael kann nachempfinden und zeigte Verständnis für jedes einzelne Kind.“ In besonders schöner Erinnerung sind ihr die gemeinsamen Urlaube in Frankreich und im Ferienhaus in Hinsbeck geblieben, genauso wie die Weihnachtsfeste, bei denen auch Riemers Frau Monika oft mitfeierte. „Man braucht schon einen verständnisvollen Ehepartner“, sagt Riemer, „gerade wenn man mal 14 Tage im Dauereinsatz ist.“

Und er war ständig im Einsatz. „Er ist ein Idealist und hat ein Herz für bestimmte Sachen. Wenn jemand ihn um etwas bittet, macht er das“, sagt Renz. So übernahm Riemer nach und nach viele Aufgaben, die über die pädagogische Arbeit hinaus gingen, bis er 1998 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit wurde. Er rief den Freundeskreis und die Stiftung mit ins Leben. Mit vielen der Ehemaligen blieb er auch nach ihrem Auszug in Kontakt. „Ich habe immer gesagt, wenn irgendwas ist, können sie mich anrufen.“ Er freute sich, wenn dann beim jährlichen Budenfest Ehemalige vorbeischauten.

„Ich muss aber aufpassen“, sagt Riemer plötzlich, „das soll hier ja schließlich keine Lobeshymne auf mich selber werden.“ Dann blickt er sich in seinem Büro um. Die Wände und Schränke zieren zahlreiche Erinnerungen an sein Leben. Fotos, selbstgemalte Bilder, Basteleien und Souvenirs, die er im Laufe der Jahre geschenkt bekam. Sie erzählen nicht nur von seinem Leben, sondern auch die Geschichten der Menschen, die ihm begegnet sind. „Er sagte immer: Es gibt immer einen Weg, man kann alles schaffen“, erinnert sich Kerstin Schüler. „Michael hat mir Vertrauen in die Welt und meine eigenen Fähigkeiten gegeben.“ Auch Michael Riemer blickt auf eine schöne Zeit zurück. „Kinder geben einem so viel wieder. Ich empfinde Dankbarkeit für ein tolles Leben. Was jetzt kommt, weiß ich noch nicht so genau“, resümiert er. Langweilig wird es sicherlich nicht. Michael Riemer ist weiterhin für das Kinderhilfezentrum im Einsatz, als Vorstandsmitglied der Stiftung und als Geschäftsführer des Freundeskreises.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort