Düsseldorf Mathematik kommt der Wahrheit am nächsten

Düsseldorf · Der Schriftsteller Michael Köhlmeier erhielt gestern den Düsseldorfer Literaturpreis. Laudatorin Verena Auffermann lobte den Ton seiner Bücher, der den Leser etwa des Romans "Abendland" über 700 Seiten hinweg fessele.

 Autor Michael Köhlmeier.

Autor Michael Köhlmeier.

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Es könnte eine Quizfrage sein: Was verbindet Winston Churchill und Charlie Chaplin? Der Literaturkenner weiß die Antwort: Michael Köhlmeier, der diesjährige Preisträger des Literaturpreises der Stadtsparkasse Düsseldorf, hat sie in seinem Roman "Zwei Herren am Strand" zusammengebracht. Aber es ist nicht nur die reine Fantasie, die ihn zu dieser Begegnung veranlasst hat. Churchill, der große britische Politiker und Kriegsminister und Chaplin, der geniale Schauspieler und Regisseur, kannten und schätzten sich tatsächlich. Sie teilten den Hang zur Depression - Churchill nannte seinen Blues "the black dog" - und eine Abneigung gegen Hitler. Was nicht alle wissen: 1953 erhielt Churchill den Nobelpreis für Literatur, für sein biografisches Werk und seine Redekunst. Für Chaplin empfindet Köhlmeier höchste Bewunderung. "Es heißt, dass er sein Kostüm für "The Tramp" in einer Viertelstunde kreiert hat, als er vor dem Drehbeginn noch etwas Zeit hatte."

Man sieht es schon, Köhlmeiers Können besteht darin, Menschen und Künste zu verbinden, in seinem Hauptwerk "Abendland" entfaltet er auf 700 Seiten ein ganzes Universum der Zeitgeschichte. Kritikerin und Jurymitglied Verena Auffermann, die bei der Preisverleihung im Forum der Stadtsparkasse die Laudatio auf Köhlmeier hielt, liebt das Buch, musste es aber trotzdem "zerreißen". Aber nur buchstäblich, weil ihr der gewichtige gebundene Band zu schwer für die Lektüre war. "Aber jetzt steht er wieder als Ganzes in meinem Regal." Ein Geheimnis des Schriftstellers ist seine Empathie. Er spricht von den Figuren seiner Romane wie von guten Gefährten, denen man genügend Platz zum Atmen lassen muss. "Wenn ich ihnen von vornherein zu viel aufbürde, sprechen sie nicht mehr zu mir. Und wo kein Platz mehr ist, da kann man nicht schreiben. Ich lasse sie in einem gewissen Rahmen agieren."

Dass er schreiben würde, war ihm schon in jungen Jahren klar. "In meinem Elternhaus galt Schriftsteller keineswegs als exotische Option. Meine Erziehung würde ich als liebevoll verwahrlost beschreiben. Im Nachlass meines Vaters fand sich sogar ein unvollendeter Roman." Zunächst studierte der Österreicher Germanistik und Politikwissenschaft in Marburg. Es waren bewegte Zeiten, die Siebziger. "Sekundärliteratur war alles. Es war wichtiger, etwas über Thomas Mann gelesen zu haben als von ihm." Seine Liebe gehört aber der Mathematik. Da gerät er ins Schwärmen. "Die Mathematik", er betont es österreichisch auf der dritten Silbe, "kommt der Wahrheit am nächsten. Ich glaube, Novalis hat gesagt, wenn die Engel herabsteigen, werden sie Mathematiker. Und gibt es etwas, das wahrer wäre als eine Gleichung?"

Groß ist seine Skepsis gegenüber denjenigen, die die Wahrheit für sich beanspruchen. "Da ist mir der Schriftsteller lieber als der Historiker. Der reklamiert eine Wahrheit für sich, die es gar nicht geben kann. In meinen Büchern füge ich der Realität nur etwas hinzu.

Schreiben ist auch immer eine Frage der Inspiration. "Am Anfang habe ich mich selbst unter Druck gesetzt. Wenn man sich vornimmt, am Tag zwei gute Seiten schreiben, ist die Frustration schon eingebaut. Heute kann ich auch mal lange vor einem leeren Blatt sitzen, wenn mir nichts einfällt - als guter Soldat der Schriftstellerei war ich wenigstens an Ort und Stelle." Bei aller Opulenz ist sein Tonfall ein leichter. "Man kann seine Bücher sogar als Urlaubslektüre lesen", sagt Auffermann und meint das als Kompliment.

(RP)
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