Anne-José Paulsen Mehr Platz für Staatsschutz-Prozesse

Düsseldorf · Die scheidende Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG) plädiert für eine Erweiterung des Gerichtsbunkers in Hamm. Sie lobt das Düsseldorfer Netzwerk über die Grenzen von Institutionen hinweg.

 Anne-José Paulsen in ihrem Büro im Oberlandesgericht an der Cecilienallee. Den Blick aus dem Fenster über den Rhein zum linksrheinischen Düsseldorf hat sie stets genossen.

Anne-José Paulsen in ihrem Büro im Oberlandesgericht an der Cecilienallee. Den Blick aus dem Fenster über den Rhein zum linksrheinischen Düsseldorf hat sie stets genossen.

Foto: Andreas Bretz

Frau Paulsen, wann haben Sie Ihren letzten Tag im Amt?

Anne-José Paulsen Am 23. Februar. An diesem Tag lade ich das ganze Haus ein. Einerseits möchte ich so nochmal allen Mitarbeitern Danke sagen, andererseits brauche ich so einen Moment auch für mich selbst. Die restlichen Tage des Monats nehme ich dann Urlaub, so dass die Abschiedsfeier tatsächlich der Abschluss meiner Amtszeit ist.

Eines Ihrer Ziele für Ihre Tätigkeit hier war, das Haus mehr zu öffnen.

Paulsen Dieses Ziel verfolgen wir schon seit langem und ich denke, es ist uns geglückt. So hatten wir letztes Jahr beispielsweise "Faust (to go)" vom Schauspielhaus im Oberlandesgericht. Alle Gäste waren nicht nur von der Inszenierung begeistert. Dieses Jahr wollen wir "Nathan (to go)" ins Haus holen. Ich finde dieses Konzept großartig. Es ist schön, wenn sich die Düsseldorfer Institutionen gegenseitig unterstützen. Das macht einen Teil des Reizes dieser Stadt aus: Dass nicht jeder nur auf sich schaut, sondern dass wir ein Netzwerk haben. Es besteht ein guter Zusammenhalt über die Grenzen von Institutionen hinweg.

Was ist die wichtigste Entwicklung in Ihrer Zeit hier?

Paulsen Die technische Entwicklung ist sehr wichtig. Als ich 2002 mein Amt antrat, hatte zwar schon jeder an seinem Arbeitsplatz einen PC. Die passenden Programme wurden aber erst nach und nach eingeführt. Wir benötigen zum Teil hochkomplexe Software. Aber trotz Einsatz von Computertechnik - die Hauptarbeit eines Richters passiert nach wie vor im Kopf. Eine andere wichtige Entwicklung fand im baulichen Sektor statt. Wir haben im ganzen OLG-Bezirk gebaut, erweitert und renoviert, zum Beispiel das Hochsicherheits-Prozessgebäude am Kapellweg für Staatsschutzverfahren, das neue Düsseldorfer Justizzentrum für Amts- und Landgericht am Oberbilker Markt oder den Erweiterungsbau des Landgerichts Wuppertal. Bezirksweit haben wir - so banal es klingt - auch Toiletten renoviert oder Dächer erneuert.

Man beurteilt ja auch Restaurants danach, wie die Toiletten aussehen.

Paulsen Es geht mir hier letztlich um die Qualität von Rechtsprechung und Justiz in ihrer Gesamtheit. Eine Justizverwaltung ist dazu da, "dass der Laden läuft" - und zwar nicht irgendwie, sondern mindestens gut. Dafür muss man auf verschiedenen Ebenen sorgen. Dazu gehören eben auch bauliche Dinge. Es ist für mich eine Frage der Wertschätzung - gegenüber den Mitarbeitern aber auch gegenüber dem Bürger - welchen Zustand ein Gebäude hat, in das Menschen kommen und in dem Recht gesprochen wird.

Das Düsseldorfer OLG gilt als das Oberlandesgericht mit der höchsten Spezialisierung in Deutschland. Ist das auch der Grund, warum die Zahl der Senate so stark gewachsen ist?

Paulsen Das hängt von der Nachfrage, also von der Anzahl der Klagen und Anklagen ab. Je mehr Verfahren hier eingehen, umso mehr richterliche Arbeitskraft braucht man. Seit 2014 haben wir einen zweiten Patentsenat und warten auf die Einrichtung einer Lokalkammer des europäischen Patentgerichts. Außerdem haben wir nicht mehr nur einen, sondern mittlerweile drei Staatsschutzsenate und vielleicht irgendwann einen vierten. Bei den Kartellsenaten ist die Entwicklung am rasantesten, da sind wir während meiner Amtszeit von einen auf sechs gewachsen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass das Bundeskartellamt seinerseits personell verstärkt worden ist und mehr Verfahren betrieben werden. Zudem muss man bedenken, dass das Oberlandesgericht auf Grund seiner speziellen Zuständigkeiten als Landeshauptstadtgericht und dem Sitz wichtiger Institutionen in NRW, wie etwa des Bundeskartellamts, bundesweite Bedeutung hat. In Patentsachen hat das Oberlandesgericht international einen hervorragenden Ruf erlangt, unter anderem wegen der hohen Qualität und fachlichen Kompetenz unserer Patentsenate.

Würde der Platz im Hochsicherheitsgebäude noch für einen vierten Staatsschutzsenat ausreichen?

Paulsen Das wird schwierig, denn schon mit drei Senaten ist das Prozessgebäude derart ausgelastet, dass wir ein elektronisches Saalmanagement eingeführt haben. Außerdem verhandeln die Senate jeweils mehrere Verfahren gleichzeitig. Termine müssen mit einer nicht geringen Zahl von Verteidigern und Dolmetschern und den Zeugen abgestimmt werden. Das alles bedeutet einen hohen Aufwand.

Braucht man da also mehr Platz?

Paulsen Ich habe schon vor Jahren im Ministerium geäußert, dass man meiner Meinung nach das Prozessgebäude erweitern muss. Das ist am Standort des Gebäudes machbar, und wenn die hohe Auslastung so weitergeht, halte ich das sogar für zwingend. Natürlich ist das mit hohen Kosten verbunden.

Aber es ist ja auch ein wichtiges Feld.

Paulsen Es ist entscheidend, dass wir uns als wehrhafte Demokratie zeigen. Wir verurteilen die Täter nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, auch wenn das aufwendig ist. Man muss immer wieder in den Rechtsstaat investieren. Er ist so wesentlich für unsere Demokratie und letztlich für die Freiheit eines jeden einzelnen, dass wir an dieser Aufgabe ständig gewissenhaft arbeiten sollten.

Gibt es genug guten Nachwuchs?

Paulsen Es gibt insgesamt nicht mehr so viele Jura-Absolventen wie früher, und wir möchten ja Bewerber aus einem bestimmten Notenbereich. Da konkurrieren wir mit den großen Wirtschaftskanzleien. Die Note allein ist aber nicht alles. Ein guter Richter muss auch die richtige Haltung mitbringen - und das ist nicht der "Alles-besser-Wisser". Er muss die Fähigkeit haben, zuzuhören, die eigenen Überzeugungen nochmals auf den Prüfstand zu stellen und Entschlusskraft besitzen. Wir verschaffen uns von jedem Bewerber, den wir in unserem OLG-Bezirk einstellen, in ausführlichen Einstellungsgesprächen einen persönlichen Eindruck. Das mache ich in der Regel selbst mit einer kleinen Kommission.

Haben Sie als Vorsitzende des Hochschulrates der Heinrich-Heine-Universität auch das Ziel, die Juristen-Ausbildung zu verändern?

Paulsen Das ist jedenfalls nicht der Grund für meine Tätigkeit dort, sondern davon unabhängig. Aber natürlich denke ich auch darüber nach, wie die Juristenausbildung aufgebaut werden sollte und ein Studium an der Universität Düsseldorf noch attraktiver werden könnte. Dafür tun wir einiges. Beispielsweise bieten wir für Jura-Studenten Moot-Courts am Landgericht an, wo sie ganze Prozesse durchspielen können.

Man kennt Sie heute als Top-Juristin. Hätte es eine berufliche Alternative gegeben?

Paulsen Nach dem Abitur hatte ich so viele Ideen, dass ich mich gar nicht entscheiden konnte. Medizin wäre auch denkbar gewesen. Mein Vater machte mir den Vorschlag, Jura zu studieren. Und da, wo ich heute bin, bin ich genau richtig gelandet. Die Mischung von abstrakt-analytischem Denken und hohem Anwendungspotenzial ist einfach perfekt für mich. Dazu kommen der Umgang mit vielen Menschen - und (lacht) viel reden zu dürfen. Die bunte und anspruchsvolle Aufgabenvielfalt des Präsidentenamtes gefällt mir schon sehr.

Was holen Sie ab März nach, was in den letzten Jahren zu kurz kam?

Paulsen Das klingt jetzt platt, aber: schlafen. Da habe ich ein ständiges Defizit. Und ich möchte mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen - das habe ich mit der Weihnachtspost schon angedroht. In den letzten 16 Jahren war ich terminlich so durchgetaktet - ich musste sogar die Zeit fürs Plätzchenbacken im Kalender freihalten. Nun kann ich mich allem freier widmen.

Schauen Sie im Fernsehen auch Serien?

Paulsen Ja, gerne, wenn man nach einem langen Tag etwas zur Entspannung sehen will. Serien, die bei mir nicht wieder Adrenalin erzeugen, wie "Elementary" oder "Lie to me". Mein Sohn schlägt mir zwar öfter auch mal aufregendere Serien vor. Aber dann muss er immer lachen, denn wenn es zu spannend wird, gehe ich in die Küche und frage ihn danach: Was ist passiert?

DAS INTERVIEW FÜHRTEN NICOLE LANGE UND UWE-JENS RUHNAU

(RP)
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