Marathon-Meilenstein Angriff auf die Zwei-Stunden-Schallmauer

Düsseldorf · Am ersten Mai-Wochenende soll zum ersten Mal ein Mensch einen Marathon in höchstens 1:59:59 Stunden absolvieren. Möglich macht's ein Projekt, bei dem die Läufer auf der Rennstrecke in Monza antreten.

 Eliud Kipchoge (l.) schenkt dem Drittplatzierten Feyisa Lilesa nach seinem Sieg beim Berlin-Marathon 2015 Bier ein.

Eliud Kipchoge (l.) schenkt dem Drittplatzierten Feyisa Lilesa nach seinem Sieg beim Berlin-Marathon 2015 Bier ein.

Foto: ap

Wenn am Sonntag knapp 16.000 Läufer den Düsseldorf-Marathon in Angriff nehmen, wird sie bei fast jedem im Kopf herumspuken: die anvisierte Endzeit. Unter fünf Stunden, unter vier, 3:30, besser als im Vorjahr - wer Marathon läuft und nicht bloß irgendwie ankommen möchte, wird früher oder später zum Zahlenfetischisten. Eine Endzeit von 1:59:59 Stunden dürften indes nicht einmal die Besten anpeilen, die um 9 Uhr am Rheinufer starten. Der Streckenrekord von 2013 liegt bei 2:07:48. Doch die lange utopisch erscheinende Zwei-Stunden-Schallmauer soll bald fallen. Geht es nach US-Sportartikel-Gigant Nike schon am kommenden Wochenende.

"Breaking 2" (deutsch etwa: die zwei Stunden knacken) nennt sich das werbewirksame Hightech-Projekt, das Nike im Dezember 2016 begann. Mit Hilfe von Wissenschaftlern aus Forschung und Industrie, mit Biomechanikern, Materialentwicklern, Ernährungswissenschaftlern, Psychologen und Physiologen, mit einem speziellen Schuh samt Karbonplatte in der Sohle und optimierter Laufhaltung greifen drei Top-Athleten die Marke an.

Olympiasieger Eliud Kipchoge aus Kenia, Halbmarathon-Weltrekordler Zersenay Tadese (Eritrea) und Lelisa Desisa (Äthiopien) wurden ausgewählt, auf der als perfekt auserkorenen Formel-1-Strecke im italienischen Monza die sportliche Zeitenwende zu schaffen. "Es geht darum, die Perspektive auf das zu verändern, was im Sport möglich ist", verkünden die Organisatoren großspurig. 17,5 Runden gilt es zu absolvieren auf dem 2,4 Kilometer langen Kurs. Im Laborversuch unter freiem Himmel. Bei am liebsten zwölf Grad Celsius. Auf 183 Metern Höhe. Im möglichen Windschatten eines Elektroautos mit Zeitanzeige

Doch ob es nun klappt oder nicht, fest steht indes: Als offizieller Weltrekord würde die in Monza erzielte Zeit nicht akzeptiert, allein die 18 nach Bedarf eingewechselten Tempomacher aus aller Welt sprechen dagegen. Sie sollen mithelfen, die 178 Sekunden zwischen den 1:59:59 und dem aktuellen Weltrekord von 2:02:57 herauszulaufen, den der Kenianer Dennis Kimetto 2014 in Berlin aufgestellt hat. Dafür müssten sie einen Kilometer in 2:50 Minuten laufen und damit 4,23 Sekunden schneller als beim alten Weltrekord.

Was "breaking2" auf jeden Fall gewonnen hat, ist der Wettlauf der PR-Projekte mit dem konkurrierenden "sub2hours" (unter zwei Stunden), das der australische Sportwissenschaftler Yannis Pitsiladis an der Universität Brighton Ende 2014 ins Leben gerufen hatte. Auf fünf Jahre ist "sub2hours" angelegt, umgerechnet 27,5 Millionen Euro stehen zur Verfügung. "Ich glaube nicht, dass unser Projekt im Bereich der Utopie liegt. Es gab im Sport immer wieder Grenzen, von denen niemand geglaubt hat, dass sie überwunden werden können. Und dann ist es doch passiert", sagt Pitsiladis. Er und sein Team setzen unter anderem auf den dreimaligen Olympiasieger über 10.000 Meter, Kenenisa Bekele aus Äthiopien.

Beiden Projekten gemein ist nicht nur das Ziel, sondern auch die erklärte Verpflichtung, den Weg dorthin dopingfrei zu bestreiten. Ein notwendiger Hinweis in Zeiten, in denen jeder Rekord nicht ohne Grund erst einmal kritisch beäugt wird. Gerade die Läufernationen Kenia und Äthiopien stehen immer wieder wegen unzureichender Dopingkontrollen im Fokus. Die Reaktionen aus der Athleten-Szene fallen unterschiedlich aus. Arne Gabius (36), deutscher Rekordhalter (2:08:33 Std.), ist ein "ein großer Fan des Breaking 2-Projektes. Ich glaube, dass Kipchoge eine Zeit von 2:02 bis 2:01 Stunden laufen kann. Dieser Versuch wird viele Athleten motivieren und Grenzen in den Köpfen verschieben", sagte er unserer Redaktion. Nike rüstet auch Gabius aus, der in Monza vor Ort sein wird. Philipp Pflieger (29), Olympia-55. in Rio, hat schon eher Bauchschmerzen. "Für mich ist eine Zeit von 2:06 noch gut nachvollziehbar. Bei Zeiten weit darunter nimmt meine Skepsis exponenziell zu", sagte er dem Fachmagazin "Leichtathletik".

Skepsis wird auch am Sonntag mancher Läufer am Start in Düsseldorf spüren. Skepsis, ob die Trainingsumfänge reichen, um die anvisierte Zeit zu laufen. Die ganz persönliche Schallmauer. Ganz ohne Windschatten vom Elektroauto.

(klü)
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