Interview Birgitta Kubsch-von Harten Lebenslanges Lernen ist die Zukunft

Düsseldorf · Die neue Leiterin der Arbeitsagentur startet heute. Weiterbildung wird für sie ein großes Thema sein. Den Arbeitsmarkt in der Landeshauptstadt bezeichnet sie als sehr gut - Bewerber haben hier beste Chancen.

 Birgitta Kubsch-von-Harten ist ab heute neue Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Düsseldorf.

Birgitta Kubsch-von-Harten ist ab heute neue Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Düsseldorf.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Was die Beschäftigungszahlen angeht, ist es wohl ein guter Zeitpunkt, Chefin der Düsseldorfer Arbeitsagentur zu werden. Doch auf Birgitta Kubsch-von Harten wartet auch eine ganze Reihe von Herausforderungen – vor allem die sich stetig wandelnden Anforderungen an heutige Arbeitnehmer.

Frau Kubsch-von Harten, was ist heute in Düsseldorf schwerer: Einem Arbeitssuchenden eine Stelle zu finden, oder für die vielen offenen Stellen die passenden Fachkräfte?

Birgitta Kubsch-von Harten Das muss man unterscheiden nach den verschiedenen Bewerbergruppen, die es bei uns gibt. Insgesamt hat Düsseldorf einen sehr guten Arbeitsmarkt, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen ist über die letzten Jahre kontinuierlich angestiegen. Gleichzeitig herrscht ein Fachkräftemangel. Das gilt in bestimmten Berufsgruppen besonders, bei Pflegekräften beispielsweise ja bundesweit, aber auch im Bereich Spedition- und Logistik, bei Lokomotivführern und im Handwerk. An sich also ein guter Markt für Bewerber, aus Sicht der Arbeitgeber fehlt aber häufig der geeignete Nachwuchs. Insgesamt schwierig haben es die Ungelernten, für die es in Düsseldorf kaum Jobs gibt. Daher investieren wir viel in Weiterbildung.

Warum finden viele Firmen keine geeigneten Bewerber?

Kubsch-von Harten Das ist vor allem ein demografisches Problem. Wir haben in diesem Jahr in Düsseldorf zwar nochmal einen Anstieg der Schulabgänger, das ist aber eine Ausnahme. Dazu kommt eine hohe Studienneigung. Ich bin nicht gegen ein Studium, aber wir raten einigen trotzdem lieber zuerst zu einer Ausbildung, zumal es da auch gute Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Allerdings sind Eltern für ihre Kinder die wichtigsten Berufsberater, und sie finden oft, dass der höchste Abschluss immer der beste ist. Von dem für Bewerber so guten Markt profitieren übrigens auch Absolventen mit weniger guten Noten und arbeitslose Erwachsene – es werden eher Bewerber eingestellt, von denen Unternehmen noch vor einigen Jahren gesagt hätten: Eher nicht. Schwer bleibt es für diejenigen, die schon länger bei uns gemeldet sind. Ihnen soll das Teilhabechancengesetz mit seinen Fördermöglichkeiten neue Wege eröffnen.

Können Sie für Düsseldorf eine erste Zwischenbilanz ziehen?

Kubsch-von Harten Das läuft in Düsseldorf gut an – wir haben sowohl kommunale und soziale Träger als auch Arbeitgeber aus der freien Wirtschaft dafür gewonnen.

Insgesamt profitieren bereits 236 Langzeitarbeitslose von diesem neuen Gesetz. 136 Fälle wurden bereits bewilligt. Weitere 100 sind in der konkreten Umsetzungsphase. Das geht durch alle Branchen, inzwischen sind auch Speditionen und ein Reifenhandel dabei. Wir begleiten die Menschen engmaschig – für viele, die lange aus dem Beruf raus sind, ist das ja ein großer Schritt.

Blicken wir auf die inzwischen etwas gebremsten Konjunkturprognosen. Werden Sie bald wieder mehr Arbeitssuchende zu beraten haben?

Kubsch-von Harten Nein, damit rechnen wir im Moment nicht. Die Prognosen sind verhaltener, aber nicht schlecht für Düsseldorf. Die größere Herausforderung für uns wird eher die wachsende Dynamik in den Berufsfeldern sein. Die Berufsbilder verändern sich angesichts der Digitalisierung immer schneller. In Düsseldorf haben wir dafür das Projekt LBB (Lebensbegleitende Berufsberatung), bei der 50 Prozent der Kunden Beschäftigte sind. Sie haben Fragen zu beruflicher Neuorientierung, Umorientierung, oder sie wollen wissen, wie sie weiter ihre Tätigkeit sicher haben. Lebenslanges Lernen wird das Thema schlechthin werden: Wir lernen nicht mehr einen Beruf und üben ihn dann für den Rest unseres Lebens unverändert aus.

Tun die Arbeitgeber genug in Sachen Weiterbildung?

Kubsch-von Harten Da gibt es ein  gemischtes Bild. Für einen kleinen Handwerksbetrieb mit zwei, drei Mitarbeitern ist es ja oft existenziell, dass die Leute vor Ort sind und Aufträge realisieren können. Wir kennen aber welche, die dennoch viel in die Weiterbildung der Mitarbeiter investieren. Für große Unternehmen ist das einfacher, besonders, wenn sie eine eigene Abteilung für Weiterbildung haben. Wir als Arbeitsagentur können das auch unterstützen: einerseits mit der Beratung, welche Weiterbildung sinnvoll ist, aber auch, indem wir Qualifizierungen finanzieren oder einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt gewähren.

Worauf müssen Menschen heute bei der Berufswahl achten?

Kubsch-von Harten  Zunächst mal ganz schlicht darauf, dass sie Spaß daran haben. Arbeit muss sinnstiftend sein, und das bedeutet für verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Dinge. Wenn ich gerne im Team arbeite, ist das etwas anderes, als wenn ich eher eine Buchhalter-Natur bin und etwas Raum für mich brauche.

Was raten Sie Frauen?

Kubsch-von Harten Viele nehmen, etwa während der Zeit der Kindererziehung, Tätigkeiten als Mini-Jobber auf. Ihnen raten wir lieber dazu, auf eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu setzen. Und wir versuchen, Frauen mehr in so genannte MINT-Berufe zu bekommen – dazu hatten wir in der vergangenen Woche eine große Veranstaltung. Es gibt ja nach wie vor Bereiche, die noch nicht in den Köpfen sind. Es entsteht auch eine Dynamik – wenn zwei, drei Freundinnen kaufmännische Berufe erlernen, macht man das auch. Die Vorstellung von sich in der Kfz-Werkstatt oder Lackiererei haben viele Mädchen und Frauen nicht.

Sind denn Firmen offen dafür?

Kubsch-von Harten Ich habe kaum Arbeitgeber erlebt, die dafür nicht offen wären – abgesehen davon, dass es in einer Ausschreibung auch gesetztlich gar nicht erlaubt wäre. Viele finden eine gute Durchmischung im Team prima.

Sind Berufswechsel auch mit 35,40,45 Jahren noch sinnvoll?

Kubsch-von Harten Wir erleben das gar nicht so selten. Gerade bei Berufsrückkehrern ist es immer wieder so, dass sie gar nicht so gern auf dem aufbauen wollen, was sie vorher gemacht haben.

Sie selbst haben Germanistik, Pädagogik und Geschichte studiert – hätten Sie damals gedacht, dass Sie einmal Chefin einer Arbeitsagentur werden?

Kubsch-von Harten In keinster Weise! (lacht) Ich war erst einmal im Bereich Markt- und Medienforschung und Public Relations unterwegs, bin dann über Umwege im Bereich der Personalberatung gelandet – und über diesen Weg zur Arbeitsagentur gekommen. Noch bei meinem Vorstellungsgespräch dachte ich: Ich weiß nicht, ob eine Behörde etwas für mich ist, mal gucken! Ich habe aber vom ersten Tag an die Vielfalt der Themen spannend gefunden und viele engagierte Kollegen kennengelernt. Daher war meine Begeisterung schnell entfacht.

In Notaufnahmen oder Behörden werden Mitarbeiter heutzutage sogar immer häufiger angegriffen. Ist das in Ihrem Hause ein Thema?

Kubsch-von Harten Wir bieten sogar spezielle Deeskalationsseminare an. Mit körperlichen Attacken hatten wir glücklicherweise in der Zeit, in der ich hier bin, keine Probleme. Wichtig ist aber, dass keine Neigung entsteht, kleines zu bagatellisieren, nur weil es leider oft vorkommt. Wenn jemand unangemessen auftritt, schreibe ich auch mal einen Brief, dass man so nicht mit meinen Mitarbeitern reden kann. Allerdings ist der große Teil unserer Kunden glücklicherweise ganz anders.

Was werden Ihre nächsten großen Themen sein?

Kubsch-von Harten Wir werden beispielsweise einen Fokus darauf legen, ob wir für die Arbeitgeber in die richtige Richtung qualifizieren: Treffen wir eigentlich den Bedarf, oder geht es knapp daran vorbei? Für die, die bei uns arbeitslos gemeldet sind, legen wir ein Projekt auf, bei dem sie enger mit eingebunden werden sollen bei dem Plan, wie es für sie in den kommenden Monaten weitergeht. Ganz wichtig ist mir, dass wir alles, was wir machen, nicht alleine können. Düsseldorf hat da ein tolles Netzwerk, das ich gerne weiter intensivieren möchte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort