Lars Horst aus Düsseldorf hat zwei Berufe Der fliegende Anwalt

Düsseldorf · Lars Horst fliegt als Berufspilot Frachtflüge um die ganze Welt, ist aber auch als Strafverteidiger tätig. Wie er beiden Berufe unter einen Hut bekommt und warum Anrufer manchmal gar nicht merken, dass er am anderen Ende der Welt ist.

 Lars Horst an Bord eines Cargo-Flugzeugs.

Lars Horst an Bord eines Cargo-Flugzeugs.

Foto: Lars Horst

In Houston in Texas (USA) ist der Sommer prall und sonnig: Bei Außentemperaturen von 28 Grad gibt es dort heute schwachen Wind mit 23 km/h, die Regenwahrscheinlichkeit liegt nur bei 20 Prozent. Das alles sind Daten, die der Düsseldorfer Rechtsanwalt Lars Horst nicht extra nachlesen muss.

Er kommt gerade aus Texas zurück – mit Sonnenbrille und in Pilotenuniform. Denn seit knapp zwölf Jahren lebt der 48-Jährige seinen Kindheitstraum: Den Traum vom Fliegen. Im Zweitjob als Berufspilot einer Luftfracht-Gesellschaft verlässt der Familienvater etwa einmal pro Woche seine Anwaltskanzlei an der Kö mit dem Pilotensitz im Cockpit einer Boeing „Triple Seven“, dem größten zweimotorigen Frachtflugzeug der zivilen Welt. Aber was heißt schon „Zweitjob“? Oft werde er gefragt, ob er jetzt ein fliegender Anwalt sei oder doch eher umgekehrt – ein Pilot mit fachjuristischer Ausbildung. Aber eine Reihenfolge könne er nicht nennen, sagt er: „Gefühlt sind das beides Hauptjobs mit gleich hohem Stellenwert.“

Im Berufsalltag zu pendeln zwischen Gerichtsakten und Gepäcklisten, zwischen Justizdramen und Jumbo-Jet’s kleiner Schwester (der Boeing 777), hält er für unproblematisch. Mehr noch: „Das passt wirklich gut zusammen!“ Bei Zwischenstopps der Frachtflüge könne er immerhin in aller Ruhe die Fallakten seiner Gerichtsverfahren bearbeiten. Und Lars Horst hat dazu viel Zeit in den Hotelzimmern, in denen die Crew in Nord- oder Südamerika, in Asien oder Europa untergebracht ist.

So auch für einen seiner spektakulärsten Justiz-Fälle von 2013, damals ein Prozess gegen eine junge Mutter. Sie hatte zwei ihrer Säuglinge im Abstand weniger Jahre heimlich im Familiengrab auf dem Unterrather Friedhof beigesetzt, erst einen angeblich tot geborenen Sohn, dann dessen kleine Schwester. Dieses Mädchen habe sie, so war ihr vorgeworfen worden, in der Badewanne heimlich zur Welt gebracht – und als es dann plötzlich an der Badezimmertür klopfte, sei sie in Panik geraten, habe das Neugeborene unter Wasser gedrückt, dadurch ertränkt.

Ob das Kind aber überhaupt gelebt hat bei der Geburt, blieb unklar. Auch das Mädchen bedeckte sie später im Familiengrab mit Erde – und womöglich wäre das alles nie entdeckt worden. Wenn nicht ein Fuchs damals die Kinderleiche ausgegraben, die Taten der jungen Frau damit offen gelegt hätte. In einem hochemotionalen Strafprozess vor dem Schwurgericht konnte der Mutter damals allerdings keine Tötungsabsicht nachgewiesen werden, so dass sie mit einer Bewährungsstrafe davonkam und zu ihren beiden anderen schulpflichtigen Kindern zurückkehren konnte.

Dass über den Wolken also alle Ängste, alle Sorgen vergessen oder doch „nichtig und klein“ würden, wie Liedermacher Reinhard Mey einst sang – das stimmt für Lars Horst nicht immer. Probleme mit dem Jetlag kennt er übrigens nicht. Sein Rezept: Er stellt seine Uhr auch bei Trans-Atlantik-Flügen nicht um, „ich bleibe immer in der deutschen Zeit“. Daher könne es vorkommen, dass vormittags Mandanten oder auch Richter anrufen, um Termine mit ihm abzusprechen – und nicht mal ahnen, dass der Fachanwalt für Strafrecht mit Kö-Adresse gerade als Frachtpilot seine Flugpause in einem Hotelzimmer in Mexico City, Sao Paulo, New York, Hongkong oder Chicago genießt. „Die Anrufer merken gar nicht, dass ich irgendwo anders bin“ – wobei die Betonung auf „irgendwo“ liegt. Es könnte auch Birmingham oder Brüssel oder eben Houston in Texas sein. Dabei hatte Lars Horst erst mit 36 Jahren seine Ausbildung zum Berufspiloten abgeschlossen, war zu der Zeit schon neun Jahre als Strafverteidiger tätig, hat aber immer noch an seinem Kindheitstraum vom Pilotenleben festgehalten.

In der Praxis bedeutete das damals: Wenn er seinen Anwalts-Alltag bewältigt hatte, begann das Büffeln via Fernschule. Sicher kein Zuckerschlecken?„Nein, das hieß: Büffeln von abends 20 Uhr bis drei Uhr morgens.“ Und dann wieder in den Gerichtssaal?     „Wenn ich Pech hatte, kam ich damals nur auf ein paar Stunden Schlaf.“ Das klingt grenzwertig.

    „Es war nicht alles total spaßig“, räumt er lächelnd ein. Und startet dann direkt durch zu seinem Lieblingsthema: Hunderte, Tausende Fotos, die er durch Cockpit-Fenster während seiner Flüge von überwältigenden Landschaften gemacht hat, von den Schneewüsten Grönlands bis hin zu chrom- und glasfunkelnden Ballungszentren in den USA.

„Andere sitzen vor dem Fernseher, ich sehe aus dem Fenster“, fügt er fast schon entschuldigend an. Ob diese Art von Doppel-Beruf in Zeiten der Corona-Krise und  der aktuellen Existenznöte mancher Anwaltskanzlei nicht auch beruhigend sei? „Ja, doch, es ist ein beruhigender Faktor!“ Zumal er noch das Glück hat, dass beide Branchen von der Präzision ihrer Sprache leben: Die  Fliegersprache sei so präzise, weil im Dialog zwischen Fluglotsen, Tower und Crew eben kein Raum für Missverständnisse bleiben dürfe.

 Auch in der Anwaltsrobe macht Lars Horst eine gute Figur.

Auch in der Anwaltsrobe macht Lars Horst eine gute Figur.

Foto: Lars Horst

Ähnlich sei es ja auch bei der Juristensprache. Speziell in diesem Sektor steht Lars Horst aktuell wieder in einem umfangreichen Prozess vor dem Landgericht: Angeklagt ist ein 25-Jähriger, der 2019 in Bilk und Friedrichstadt über Monate hinweg mindestens drei kleine Mädchen attackiert und sexuell bedrängt haben soll. Dafür könnte dem jungen Mann jetzt sogar die Sicherungsverwahrung drohen. Ein Urteil darüber ist wegen der Lage in Deutschland derzeit aufgrund der lang anhaltenden Corona-Krise allerdings nicht in Sicht.

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