Düsseldorf Zwei Diven und die Kunst des Vorlesens
Düsseldorf · Iris Berben interpretiert biografische Texte von Kafka, Hanna Schygulla liest aus dem eigenen Leben - und kommt bald ins Erzählen.
Das ist schon bemerkenswert: Über 1100 Besucher kamen, um die Schauspielerinnen Iris Berben und Hanna Schygulla an diesem Wochenende lesen zu hören. 800 davon versammelten sich im Robert-Schumann-Saal. Dort ging es um Franz Kafka und um eine neue Biografie. "Der Mann aus Prag" heißt der 500 Seiten starke Band, den der Historiker Herbert Schmidt in der Edition Virgines veröffentlicht hat (und dessen Umschlag Gerhard Richter gestaltete). Iris Berben ist ein Fan, seit Schmidt die Anthologie "Ist es Freude, ist es Schmerz?" mit Werken jüdischer Autoren herausbrachte. "Wenn Herr Schmidt etwas veröffentlicht, bin ich dabei", bekundete sie. Und las als erstes jenen "Brief an den Vater", der im Werke Kafkas eine zentrale Rolle einnimmt. Sie fühlt sich in den Text hinein, trifft genau jenen Tonfall, der so vorsichtig und doch erschütternd die Angst des Sohnes vor dem Vater auslotet. Umso härter trifft es, wenn sie für einen der Aussprüche Hermann Kafkas die Stimme hebt: "Ich zerreiß dich wie einen Fisch!"
In seiner Einleitung hatte Michael Serrer vom Literaturbüro Kafka in seiner Rolle als sich verweigernder Dialektiker gewürdigt. "Bei ihm gibt es die These und die Antithese, aber er verschließt sich der Synthese." Das heißt auch im Privatleben einen Schritt vor und mindestens einen zurück. Berben liest aus dem Brief an Felice Bauer, den wohl schrecklisten Heiratsantrag, den je ein Mann einer Frau gemacht hat, und man muss sich zu den Kapriolen zwischen Selbstanpreisung und Degradierung winden, die der Mann aus Prag schlägt.
"Du würdest Berlin verlieren, das Bureau, das Dich freut, die Freundinnen, die kleinen Vergnügungen, die Aussicht, einen gesunden, lustigen, guten Mann zu heiraten, schöne, gesunde Kinder zu bekommen, nach denen Du Dich, wenn Du es überlegst, geradezu sehnst. Anstelle dieses gar nicht abzuschätzenden Verlustes würdest Du einen kranken, schwachen, ungeselligen, schweigsamen, traurigen, steifen, fast hoffnungslosen Menschen gewinnen, dessen vielleicht einzige Tugend darin besteht, dass er Dich liebt." Ein Antrag also, der sich gleichsam selbst ablehnt. Aber es gibt auch Heiteres, Anekdotisches, zu denen das Klavierspiel Vasilena Krasinovas den Bogen schlägt.
So wie die Geschichte, in der Kafka ein kleines Mädchen tröstet, das um seine verlorene Puppe trauert. An die dreißig Briefe schreibt er ihr, im Namen der Puppe, die ihrer ehemaligen Besitzerin erklärt, sie wolle sich mal ein bisschen umsehen in der Welt. Und weil das mit den Briefen nicht ewig weitergehen kann, unterrichtet er das Mädchen im letzten Schreiben von der Heirat des Spielzeugs.
Ganz anders der Auftritt von Hanna Schygulla im Savoy Theater. Die in Paris und Berlin lebende Schauspielerin liest vor über 300 Gästen aus ihrer Autobiographie "Wach auf und träume." Aber was heißt lesen? Ein Satz ist ihr Anlass genug, um ihre ganz eigene Welt im Erzählton auszubreiten.
Das beginnt mit ihrer Geburt am 25. Dezember 1943 in Oberschlesien. Unglaublich, dass der Arzt, der sie auf die Welt holte, (ein Assistent des berüchtigten Dr. Mengele) die Geburt medikamentös verzögerte, um ungestört den Heiligen Abend verbringen zu können. "Vielleicht sitze ich deshalb immer so gerne am Ausgang", lautet ihr lakonischer Kommentar. "Als Kind wollte ich immer ein Junge sein", erzählt sie. "Ich bin denen immer hinterher gerannt. Später sind die Jungs mir hinterhergerannt."
Begonnen hat sie ihre Karriere als erotisch-träge Vorstadtschönheit in Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher", und natürlich erinnert sie sich auch an ihn. Drei Monate nach Fassbinders frühem Tod, stürzte sie einige Stufen der Cheops-Pyramide herab und überlebte wie durch ein Wunder unverletzt. Wunder, man kann sie auch Zufälle nennen, spielen im Leben der Künstlerin eine wichtige Rolle. Denn ihre Sicht auf die Welt ist eine magische, in der auch der Traum fast gleichbedeutend mit der Realität ist. Daher auch der Titel ihres Buches, ein Ibsen- Zitat. Wenn sie im Kapitel über ein Musikfest in Paris ein paar Takte aus dem Jazz-Klassiker "Lullaby of Birdland" singt, erinnert man sich an die großartige Sängerin Hanna Schygulla. Ihre träumerische Weltsicht hat sie sich erhalten. Dabei ist sie doch ganz von dieser Welt. Herzlicher Beifall für sie, so wie zuvor auch für Iris Berben.