„1984“ in Düsseldorf "Wir sind viel weiter, als Orwell glaubte"

Düsseldorf · Regisseur Armin Petras hat fürs Schauspielhaus eine neue Fassung von Orwells Werk "1984" geschrieben. Der Roman ist eine beklemmende Utopie über die Omnipräsenz des "großen Bruders" in einem totalitären Überwachungsstaat. Premiere ist am Samstag.

Vor der Premiere von "1984" am Samstag im "Central" weiß Armin Petras genau, wo er sich während der Vorstellung auf keinen Fall befinden wird: im Theater. "Ich bin bei Premieren sehr aufgeregt und habe große Ängste", sagt der Regisseur. Als Zufluchtsort fokussiert er sich stets auf "eine gastronomische Einheit". In einer nahen Kneipe, die er noch suchen muss - auch das gehört zum Ritual -, wird er seine Nervosität "mit einer kleinen Droge" in Form von Bier hinunterspülen. Um rechtzeitig zum Schlussapplaus wieder bei seinen Schauspielern zu sein.

Die Inszenierung firmiert als Koproduktion des Düsseldorfer Schauspielhauses mit dem Schauspiel Stuttgart, dessen Intendant Armin Petras seit 2013 ist. Mit "1984", für das er auch die Bühnenfassung schrieb, nimmt er dort seinen Abschied. George Orwells letzter Roman erschien 1948, betitelt mit der umgedrehten Jahreszahl - eine beklemmende Utopie über die Omnipräsenz des "großen Bruders" in einem totalitären Überwachungsstaat. Den Menschen hat man mit perfiden Methoden das Denken abgewöhnt, politische Gegner werden ausgelöscht. Das Parteimitglied Winston Smith rebelliert gegen das System und hält die Unterdrückung als Botschaft an die Ungeborenen in einem Tagebuch fest - wohl wissend, dass ihm damit sein Todesurteil droht.

Das Werk sei derzeit in aller Munde, sagt der Regisseur. Nicht zuletzt befeuert durch Donald Trump: Mit seinem Begriff der "alternativen Fakten" habe der US-Präsident Vergleiche mit Orwells Sprachschöpfungen "Doppeldenk" und "Neusprech" heraufbeschworen. Die Zukunftsvisionen des Buches seien freilich längst von der Realität überholt worden: "Wir sind viel weiter, als Orwell damals denken konnte. Die Gesellschaft wandelt sich schnell, Vernetzung und Überwachung gehören zu unserem Alltag. Die meisten nehmen es hin."

Zum Schreiben hatte sich der schwerkranke englische Autor auf eine Insel der schottischen Hebriden zurückgezogen. "Er wusste, dass er bald sterben musste", sagt Armin Petras. "Wenige Wochen nach Beendigung des Romans war er tot." Aber der 46-Jährige hatte darin auch festgehalten, was ihn am Ende seines Lebens inspirierte: die Liebe zu einer sehr jungen Frau.

Diesen tröstlichen Aspekt machte Armin Petras zum Dreh- und Angelpunkt seiner Fassung. "Da befindet sich ein Mann in einer schweren Krise, die mit seinem eigenen Dasein und der Gesellschaft zu tun hat", sagt er. "Und dann bekommt er durch dieses Mädchen noch einmal einen positiven Schub." In "1984" werde trotz aller Düsternis eben auch eine wunderschöne Liebesgeschichte erzählt: "Sie ist Futter für die Schauspieler. Für mich war das Erlebnis beglückend, dass Wilfried Schulz und ich diesen Gedanken teilten. Ich konnte ihn in meiner Fassung umsetzen." Es ist die dritte von den Erben autorisierte, die es für die Bühne gibt. Die Antwort aus London ließ zweieinhalb Monate auf sich warten, auch waren einige Änderungen erwünscht. "Jetzt sind sie damit sehr einverstanden", berichtet Petras, selber Schriftsteller und Dramatiker mit einer ellenlangen Liste von Stücken, für die er meistens das Pseudonym Fritz Kater wählt. Weiß er immer sofort, in wessen Namen er sich an die Arbeit macht? "Das ist ganz einfach", antwortet er, "Kater schreibt neue Stücke, Petras Bearbeitungen."

Bei dem komplexen Stoff des Romans war es zwingend, Prioritäten zu setzen, allein schon deshalb, weil "1984" das nicht mehr existierende stalinistische System anprangert. Mit einem totalitären Staat verbindet der 1964 in Meschede geborene Petras eigene Erfahrungen. 1969 siedelten seine Eltern in die DDR über. Orwells Utopie war dort verboten, ein Verwandter aus Bremen steckte dem 16-Jährigen das Buch heimlich zu.

So wichtig wie das Liebespaar war dem Regisseur die Figur des Gegenspielers O'Brien, dem Winston auf den Leim geht, bis er sich als Folterknecht entpuppt. Und dann ist da noch die Frage: "Was passiert in Zimmer 101?" Orwell schildert einen Raum des Schreckens voller Ratten. "Das reichte mir nicht, obwohl ich ein Problem mit Ratten habe", erzählt Petras. "Ich versuchte stattdessen eine gesellschaftliche Dystopie um zwei Männer herzustellen, die einen Kampf ausfechten." Zum Ausgleich von Tragik und Trauer wird "1984" mit Kompositionen von Schauspieler Christian Friedel (in der Rolle des "Big Brother") und seiner Band angereichert. "Christian ist ein sprühender Mensch, und so hört sich auch seine Musik an. Sie bleibt immer leicht und eingängig."

(RP)
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