Gastbeitrag Ádám Fischer "Wir müssen uns für Demokratie engagieren"

Düsseldorf · Der Chefdirigent der Symphoniker erklärt, warum er George Soros mit dem Menschenrechtspreis der Tonhalle auszeichnen wird.

Der Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf geht dieses Jahr an den amerikanischen Geschäftsmann und Philanthropen George Soros, der seit vielen Jahren für Freiheit und Bürgerrechte in Europa und der Welt kämpft. Soros finanziert mit Milliardensummen Bildungsprogramme, internationale Stipendien und Nichtregierungsorganisationen, die sich für Demokratie und den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Bei seinen berühmten Auftritten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und zahlreichen anderen Gelegenheiten wird er nicht müde, vor politischen Gefahren zu warnen, die die Freiheit der Menschen gefährden.

Mit der Auszeichnung für Soros wollen wir ein wichtiges politisches und gesellschaftliches Zeichen setzen. Soros wird in letzter Zeit von Gegnern der Demokratie und der Freiheit immer stärker angefeindet und persönlich verunglimpft. Es ist unsere Pflicht, uns mit ihm solidarisch zu zeigen. Und wir wollen mit dieser Auszeichnung auch daran erinnern, dass wir uns ständig für die Werte unserer freiheitlichen Demokratie engagieren müssen, wenn wir sie nicht verlieren wollen.

Wer in jüngster Zeit nach Ungarn gereist ist, weiß, wovon ich rede. Schon auf der Fahrt vom Flughafen sah man bis vor Kurzem riesige Plakate im Stil des "Stürmers", mit einem Soros-Porträt und einer Textzeile, ihm solle am Ende das Lachen vergehen. Soros wurde in seinem Geburtsland (wie auch in anderen Ländern Osteuropas) zum Volksfeind Nr. 1 stilisiert. Das ist eine rassistisch geprägte Kampagne. Soros wird in dieser ganz offiziellen, von der Regierung organisierten und finanzierten Propaganda als Kopf einer geheimen und internationalen Verschwörung dargestellt, die sich zum Ziel gesetzt hat, Millionen von muslimischen Migranten im Land anzusiedeln und die dort ansässige Bevölkerung zu verdrängen. Und diese Propaganda erreicht auch ihre traurige Wirkung. Es hat in den vergangenen Wochen mehrere Fälle in Ungarn gegeben, bei denen Anwohner beim bloßen Anblick von ausländischen Touristen die Polizei gerufen haben, weil sie diese Touristen für "illegale, von Soros geschickte Migranten" hielten. Und ich muss auf die große Gefahr aufmerksam machen, die ein Erstarken der national-populistischen Kräfte für die europäischen Ideale bedeutet und warum wir diese Gefahr nicht unterschätzen dürfen.

Die Technik aller Populisten, den Hass gegenüber Minderheiten zu schüren und Menschen mit rassistischen Parolen aufzuputschen, um sie von ihren eigentlichen Problemen abzulenken und ihre Wut zu kanalisieren, ist nicht neu. Die so geweckten Emotionen geraten erfahrungsgemäß aber auch leicht außer Kontrolle. Der rassistische Hass kann sich auf der Suche nach Sündenböcken ganz leicht auf schwächere Menschengruppen, andere Minderheiten richten. Heute sind das alle muslimischen Migranten, morgen die im Land lebenden nationalen und ethnischen Minderheiten. Und was diese Minderheiten betrifft, so ist Osteuropa historisch ein Pulverfass.

2020 ist der 100. Jahrestag des Abschlusses der Friedensverträge von Trianon, in denen nach dem Ersten Weltkrieg die ungarische Reichshälfte der Habsburgermonarchie in Nationalstaaten aufgeteilt wurde. Die Grenzen wurden damals so festgelegt, dass in mehreren der neuen Länder ethnische Minderheiten entstanden, deren Existenz bis heute zu Konflikten führt. Es gibt Feindseligkeiten, nachbarschaftlichen Hass auf allen Seiten. Vor zwei Monaten hat der damals amtierende rumänische Ministerpräsident Tudose seine Popularität zu steigern versucht, indem er den in Rumänien lebenden ethnischen Ungarn mit dem Galgen drohte: Wenn sie ihre Fahne auf einem öffentlichen Gebäude hissten, würden sie daneben aufgehängt werden. In Ungarn gibt es rechtsgerichtete Webseiten, die den Namen Slowakei nur in Anführungszeichen drucken, weil für sie die Slowakei kein Staat, sondern nach wie vor eine Provinz Ungarns ist. In der Slowakei wiederum werden Menschen verprügelt, nur weil sie auf der Straße ungarisch sprechen. Und gar nicht zu reden von dem in allen osteuropäischen Ländern stark verbreiteten Hass auf die Roma. Wenn sich also die durch die Anti-Soros-Kampagne geweckten rassistischen Hassgefühle auf die Nachbarvölker oder generell gegen andersartige Menschen richten, wenn sie die in diesen Ländern vorhandenen Ressentiments verstärken, dann kann das zu einer Katastrophe führen.

Sicherlich kann man im heutigen Osteuropa (noch) nicht von einer ernsthaften Gefahr für Gewaltausbrüche zwischen ethnischen Gruppen sprechen. Aber diese Gefahr darf man auch nicht bagatellisieren. Wer heute nationalistische Spinner, die von Grenzkorrekturen träumen, nicht ernst nimmt, sollte an Jugoslawien denken. Auch dort hat man sich die Wirkung der nationalistisch-populistischen Politik, die die Menschen gegeneinander aufhetzte, lange nicht vorstellen können.

Ich bin überzeugt, dass nationalistisch-populistische Tendenzen heute die größte Bedrohung für die Demokratie und die Freiheit in Europa bedeuten.

Wenn wir diesen Kräften nicht schnell und energisch Einhalt gebieten, dann ist das liberale Europa in Gefahr. Deshalb müssen wir alle alles tun, um die Immunkräfte unserer freien Gesellschaften gegen das sich immer weiter ausbreitende Gift des illiberalen Populismus zu stärken.

Unsere Auszeichnung für George Soros soll ein Zeichen setzten. Ich halte Soros' Einsatz für die Freiheit, die Menschenrechte für beispielhaft. Möge er sein Werk noch lange weiterführen! Wir brauchen ihn!

Gastautor Ádám Fischer, 68, ist Chefdirigent der Düsseldorfer Symphoniker. Jüngst wurde bekannt, dass der Ungar selbst mit einem Preis für seine künstlerische Leistung und sein gesellschaftspolitisches Engagement geehrt wird. Er erhält den Preis der israelischen Wolf Foundation.

(RP)
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