Literatur Vom Spielplan gestrichen, anderswo gefeiert

Wie Düsseldorf die Uraufführung eines Stücks von Dieter Forte verhinderte. Eine Spurensuche eröffnet neue Einsichten. Der stadtbekannte Autor wäre in wenigen Tagen 85 Jahre alt geworden.

 Dieter Forte im Heinrich-Heine-Institut vor Jugendbildern aus dem Jahre 1949 in Düsseldorf.

Dieter Forte im Heinrich-Heine-Institut vor Jugendbildern aus dem Jahre 1949 in Düsseldorf.

Foto: Bauer Hans-Jürgen/Bauer, Hans-Jürgen (hjba)

Noch acht Jahre nach dem Welterfolg seines Luther/Münzer-Dramas in Basel antwortete Dieter Forte zwei Journalisten auf die Frage, was denn vorher war: „Die Arbeit an diesem Stück hat sich über Jahre hingezogen, ohne dass ich jemand davon gesagt habe.“ Bis kurz vor Fortes Tod kannte ich nur dieses Narrativ. Und ich fand es jammerschade, dass Karl-Heinz Stroux, als dieser Text beim Verlag der Autoren unter Vertrag kam, nicht geistesgegenwärtig „hier!“ gerufen hatte. Das polemische Religionsstück hätte wunderbar zur liberalen Haltung der Heine-Stadt gepasst.

Kurz vor seinem Tod aber erschütterte Forte in zwei furiosen Briefen und einer Mail diese Deutung. „Ich dachte, du kennst die Geschichte, eigentlich wissen es alle“, raunzte er mich an (16.02.2019). Und dann erzählte er, dass Stroux den Uraufführungsvertrag hatte, aber die Stadt ihm die Aufführung verbot. „So kam Basel zum Zug. Bis heute konnte trotz vieler Versuche kein Stück von mir in Düsseldorf gespielt werden.“ In einem weiteren Brief behauptete er gar, in seiner Geburtsstadt „immer noch verboten“ zu sein. Kurz nach dieser Philippika starb der große Schriftsteller. Aufgewühlt fasste ich seine Anklage in einem RP-Artikel zusammen, erfuhr aber aus den zahlreichen, teils bestürzten, Reaktionen, dass eigentlich niemand „die Geschichte“ kannte.

Nun wollte ich es genauer wissen. Und tatsächlich: Dokumente im Nachlass von Forte beweisen, dass Karl-Heinz Stroux das Erstlingswerk des damals noch unbekannten Autors auf seiner Bühne bringen wollte. Der Generalintendant machte sogar zwei Versuche, 1968 und 1969. Im zweiten Anlauf sollte das „Stück über Thomas Müntzer““, so wurde es in der Deutschen Bühne angekündigt, sogar den Pfau-Bau am Gründgensplatz eröffnen.

Ein Mosaikstein zur Stroux-Affäre lieferte der nun 90-jährige Schriftsteller Klas Ewert Everwyn. Der erinnert sich, dass Forte 1968 tatsächlich von einem Luther-Stück sprach und sich bemühte, vom Intendanten Stroux „wahrgenommen zu werden“ (Everwyn). Wenig später erzählte Forte gar, dass sein Stück bald gespielt werde. Everwyn erinnert sich an Sätze wie. „Muss nur noch was besprochen werden. Habe einen Vertrag.“ Eine im Nachlass des Heine-Instituts gefundene Expertise des Dramaturgen Wilhelm Berner vom 20. Mai 1968 für den Generalintendanten bestätigt Everwyns Erinnerung. Berner notiert: „Herr Forte schreibt zur Zeit an seinem ersten Bühnenstück, für das er noch historisches Material sucht, einem Thomas Münzer Drama. Das Stück wäre in ca. einem Jahr fertig.“

Ein Vertrag lässt sich im Heine-Instiut nicht finden. Es blieb, dies zeigt ein kurzer Briefwechsel zwischen Forte und Stroux, bei einer mündlichen Zusage. Der Dramaturgie lag 1968 nämlich nur ein Exposé des Stücks vor. Nicht eine einzige Dialogszene. Weshalb Stroux zwar im Mai 1968 ein längeres Gespräch mit Forte führte, ihm auch eine finanzielle Unterstützung versprach, aber sein Versprechen nicht einlöste.

Vermutlich durch Zufall erfuhr ein Weggefährte Fortes, Heinz Engels, von der Düsseldorfer Hängepartie. Engels, der gerade Regie am Baseler Theater führte, kannte Forte aus einer gemeinsamen Arbeit am Jugendforum des Düsseldorfer Schauspielhauses. Engels stellte kurzerhand einen Kontakt zum neuen Intendanten des Baseler Theaters, Werner Düggelin, her. Der fand die Idee, den Theologen Thomas Müntzer als einen „quasi Dutschke“ (Berner) anzulegen, so spannend, dass er dem Jungdramatiker ein Arbeitstipendium besorgte. So kam Forte in die Erasmusstadt, durch puren Zufall, der zum Glücksfall wurde.

Die Geschichte ist aber nicht schlüssig, es fehlt die städtische Intrige. Und Forte hatte ja auch behauptet, von einem Theaterkritiker aus Düsseldorf verjagt worden zu sein. Der Sachverhalt stellt sich aber so dar, dass der Dichter aus freien Stücken ging. Forte hatte beschlossen, die ersten Manuskriptseiten eben nicht an die Düsseldorfer Dramaturgie, sondern an die Baseler Kollegen  zu übergeben.

Ohne Günther Beelitz hätte ich das Bild wohl nie komplettiert. Eigentlich wollte ich den ehemaligen Intendant des Schauspielhauses fragen, warum er denn nie ein Forte-Stück gespielt hat. „Hab ich ja“, sagte der, erzählte aber dann eine ganz andere Geschichte. Er habe 1969 als persönlicher Referent bei Stroux gearbeitet, er sollte den Umzug ins neue Haus organisieren. Und als er im Frühsommer an die Jahnstraße kam, erlebte er zwei Dramaturgen, die über einem Stück des ihm völlig unbekannten Dieter Forte „hockten“, die Herren Berner und Klose. Beelitz, neugierig, las mit und war „vom Wechsel in der Dramaturgie und der halbdokumentarischen Machart“ angetan. Außerdem traf der Text dieses jungen Autors den Zeitnerv. „Wir alle waren der Meinung“, so Beelitz, „dass der „Münzer“ gemacht werden müsste, zumal Forte ein Düsseldorfer Autor war. Auch wenn das Stück nicht auf Strouxis Linie lag.“

Dann aber geschah etwas Merkwürdiges, erinnert sich Beelitz. Noch bevor es zu einem Besetzungsplan kam, nahm Stroux im Sommer 1969 „mit patriachalischem Federstrich“ den „Münzer“ vom Spielplan. „Ohne Kommentar. Man munkelte, dass es kirchliche Kreise waren, die dahinter steckten.“ Beelitz bestätigt tatsächlich eine Einflussnahme von außen, wenn auch nur als Treppengeflüster.

Stroux schickte seinen persönlichen Referenten umgehend nach Stockholm, um für Ersatz zu sorgen. Peter Weiss arbeitete gerade an einer Endfassung von „Trotzki im Exil“; das passte. Statt des Bauernführers Münzer betrat am 20. Januar 1970 ein russischer Revolutionär die Düsseldorfer Bühne.

Dieser Aberwitz muss doch nach Fortes Geschmack gewesen sein. Aber er hat diese Pointe nie erzählt. Es kommt noch doller. Beelitz war von Fortes Stück so beeindruckt, dass er Luther/Münzer 1971 in Darmstadt zur Eröffnung seiner ersten Intendanz spielte. Dieter  Forte erschien zur Aufführung. „Ich wollte mich nicht wiederholen“, sagt er auf die Frage, warum er das Erfolgsstück später nicht auch in Düsseldorf brachte. Nach dem Stroux-Desaster hatte er Düsseldorf wohl für sich abgeschrieben, vermutet Beelitz. Die letzten Briefe zeigen, dem war nicht so.

Am 14. Juni wäre Dieter Forte 85 Jahre geworden.

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