Düsseldorf Wagners Drogen und ihr größter Dealer

Düsseldorf · Der Dirigent Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden führten Musik von Richard Wagner in der Tonhalle auf.

 Magie und Zucht: Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Tonhalle.

Magie und Zucht: Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Tonhalle.

Foto: Matthias Creutziger

Die Musik Richard Wagners wird zu den schnell wirkenden halluzinogenen und euphorisierenden Drogen gerechnet, und immer schon gab es lizenzierte Händler, die jenseits jeder Rezeptpflicht für den Vertrieb dieses begehrten Rauschmittels sorgten. Der Dirigent Christian Thielemann ist der größte Dealer von allen. Seit Jahren beherrscht er das System der Verteilwege, hat prachtvoll auf ihn eingeschworene Mittelsleute - etwa die Musiker der Staatskapelle Dresden - und weiß um eine immense Zahl von Abnehmern. Und was das Bezeichnende ist: Er kriegt sie alle immer wieder. Und das selberverständlich legal.

So auch jetzt in der Tonhalle, wo Thielemann mit den sächsischen Seinen den ersten Akt der "Walküre" sowie Szenen aus der "Götterdämmerung" aufführte. Keine Bühnenbilder, kein Walkürenfelsen, keine Bärenfelle: Dem Publikum war's egal, solange nur der musikalische Goldschatz enthüllt wurde - und so kam es dann auch. Es war ein grandioser Abend. Unter den Künstlern, die Wagners Kolosse dirigieren, können Thielemann nur wenige das Wasser reichen.

Der Musiker, der ganz früher mal als Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein wirkte, ist der Meister der Unschärfe. Sein Taktstock zittert bisweilen so heftig, als liege eine schwere neurologische Erkrankung zugrunde. In Wirklichkeit erinnert sein Stöckchen an frühere Methoden, mit denen Fieberkurven aufgezeichnet wurden. Wo so viele Zacken in der Bewegung sind, bedarf es jedenfalls einer höheren Einigung im Orchester, wann genau man denn nun einsetzen soll. Dass die Musiker sich nicht aus der Fassung bringen lassen, ist Ausdruck ihrer Routine, aber auch Teil des Mysteriums: Wo vieles unklar scheint, wirkt Präzision umso mehr wie ein Wunder.

Es ist vor allem viel Hitze und Feuerzauber in diesem Musizieren, eine permanente über- und unterschwellige Erregung; schon im Vorspiel der "Walküre" wirkt das Orchester, als werde es von der Leine gelassen. Das ist einer von Thielemanns genialischen Tricks: Er lässt dem Orchester gewaltige Freiheiten, er ist ja kein Anhänger steriler Akkuratesse, vielmehr liebt er den großen dunklen Strom, der aus dieser Musik kommt. Und wenn über ihn Lichter vom Ufer blitzen, sind das die berühmten Leitmotive. Kurzum: Es ist fabelhaftes Wagner-Kino, das wir hier erleben, und abermals bewundert man die Homogenität des Orchesters (Cello-Gruppe!), das der Komponist höchstselbst eine "Wunderharfe" genannt hatte. Apropos: Vier Harfen zupften beim "Götterdämmerungs"-Finale mit, das war ein Rauschen und Brummen von der (mit Instrumenten zugestellten) Bühne, dass man nur so mit den Ohren schlackerte, sofern sie einem nicht schon abgefallen waren.

Gleichwohl, trotz allen Lärms ist Thielemann kein Bulldozer, der mit einem fett besetzten Orchester über eine Partitur braust und jedes Detail dem Erdboden gleichmacht. Nein, die ungeheure Spannung kommt auch aus der Konzentration auf Kostbarkeiten am Rande. Wenn die Nuancen delikat musiziert werden, dann wirkt die Enthemmung noch viel jäher.

Selbstverständlich ist die Tonhalle kein Opernhaus, vor allem kein Festspielhaus à la Bayreuth, dessen Schalldeckel über dem Orchestergraben den Sängern das Gefühl gibt, dass sie auch in Reihe 27 noch gehört werden. Die Sänger in der Tonhalle, die zudem hinter dem Orchester standen (vorn war kein Platz mehr), mussten alles geben. Bei der Sopranistin Anja Kampe war es trotz hinreißender Augenblicke insgesamt mehr Parforce als Ton, doch Stephen Gould als Siegmund holte die Kohlen aus dem Feuer. Sein Tenor überstrahlte sogar das schwere Blech; Gould reüssierte als jener sehnlichst begehrte Held, den nichts umhaut - und dass er auch im Piano seine Farben noch zu modellieren wusste, sicherte ihm den Ehrenplatz im Sängertrio. Georg Zeppenfeld ist einer der gewandtesten Bässe von heute, doch als Hunding fehlte ihm an diesem Abend ein wenig das Element der rohen Gefährlichkeit. Hier wirkte er wie ein freundlicher Oberstudienrat, der in abgründigen Minuten Menschen umbringt.

Es war ein Abend aus einem Guss. Wie sehr Thielemann alles im Griff hatte, zeigte sich vor allem an der Ruhe, die das schier hypnotisierte Publikum erfasste. Während es nach dem "Walküre"-Akt wie mit tausend Erlösungsschreien die Bude zusammenjubelte, rührte sich nach dem Schlussakkord der "Götterdämmerung" erst einmal kein Arm zum Applaus. Thielemanns geschlossene linke Hand, die Faust des Maestros, hielt alles im Griff.

Man mochte das Feierlichkeit, Bannung oder maximale Wirkungsmacht nennen - dass hier über viele Sekunden eine Pause aus Andacht und Atemlosigkeit herrschte, machte die Herrlichkeit des Abends komplett.

(w.g.)
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