Katharina Grosse Düsseldorfer Künstlerin ist auf dem „Vogue“-Cover zu sehen

Düsseldorf · Die Künstlerin Katharina Grosse hat als Kuratorin für die Januar-Ausgabe der „Vogue“ klassische Regeln des Modebusiness durchbrochen. Bei diesem Projekt hat sie mit 39 Frauen zusammengearbeitet.

 Farb-Höhlen, theatralische Erlebnis-Räume, kosmische Erdlandschaften: Katharina Grosse in einer Schau im Museum Kunstpalast (2014).

Farb-Höhlen, theatralische Erlebnis-Räume, kosmische Erdlandschaften: Katharina Grosse in einer Schau im Museum Kunstpalast (2014).

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)/Bauer, Hans-Jürgen (hjba)

Man hat den Namen in gelber Schrift dazugesetzt, damit man das Anti-Mädchen von Seite 1 überhaupt erkennt. Noch fetter wirkt die Botschaft: Imagine. Katharina Grosse (58) hält es mit John Lennon, garantiert. Sie glaubt wie der verstorbene Beatle, dass sich alle Menschen eines Tages die ganze Welt teilen („Imagine all the people / sharing all the world“). Obwohl sie es möglicherweise besser weiß.

 „Wir machen das“, heißt es in der zweiten Headline des aktuellen „Vogue“-Magazins. Da kommen einem Angela Merkels Worte vom August 2018 („Wir schaffen das“) wieder in den Sinn, als die Bundeskanzlerin auf der Bundespressekonferenz die Auffassung zementierte, dass Deutschland das Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen würde. Obwohl sie es vielleicht besser wusste.

Das Januar-Titelbild der „Vogue“.

Das Januar-Titelbild der „Vogue“.

Foto: Claudia Knoepfel/Vogue

Über drei zitronengelben Zeilen erkennt man Katharina Grosse als Covergirl. Das schöne Mädchen von Seite eins ist eine Künstlerin, die in Düsseldorf als eine der Heimischen angesehen wird, weil sie an der Kunstakademie beim Farbkissenmaler Gotthard Graubner studierte. Und weil sie später bis 2018 als Professorin mit Meisterklasse stilprägend war für die Weiterentwicklung des Malereibegriffs. Ihr Gesicht ist angeschnitten, teilweise mit Farbe übersprüht, im Vordergrund des Hochglanzcovers eine mit Farbe vollgeschmierte Hand, wegen der Perspektive deutlich größer als das Gesicht. Grosse trägt ein weißes Hemd, Krawatte und ein gemustertes Jackett.

Was hat die unangepasste, eigensinnige, philosophieverliebte und supererfolgreiche Malerin wohl dazu bewogen, sich mit Menschen und Machern einzulassen, die für ein Frauenbild stehen, das mit dem einer emanzipierten Weltkünstlerin auf keinem Millimeter kongruent sein dürfte?

Bildergalerie: Künstlerin Katharina Grosse auf dem Cover der „Vogue“
5 Bilder

Künstlerin Katharina Grosse auf dem Cover der „Vogue“

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Foto: Claudia Knoepfel/Vogue

 Alleine die Bildunterschrift zum Shooting von Seite eins nimmt drei Zeilen in Anspruch, darin erfährt die geneigte Leserin unter anderem: Grosses Kleider entwarf der belgische Designer Dries van Noten. 16 Seiten Ganzseitenreklame liegen zwischen Titel und Info, viel Chanel, auf Seite vier eine komplett verjüngte Claudia Schiffer oder jemand, der ihr sehr ähnlich sieht. In diesem Umfeld von Schönheits-, Wohlstands- und Konsumidealen – den eleganten Vorgängern der Influencer – setzt Grosse als Gast-Kuratorin Zäsuren, indem sie die Regeln des Business durchkreuzt. Doch wie sichtbar werden im Produktdschungel der „Vogue“?

Wer Grosses Farbräume kennt, weiß, dass ihr keine Leinwand und kein Ort groß genug sein kann. Die Inszenierungsfähigkeit ihrer Malerei ist grenzenlos. Ihre Bilder benötigen keinen festen Ort, sie können überall landen. Die Werke ihrer Studenten hingen oft an der Decke, so dass man den Kopf beim Rundgang in der Düsseldorfer Akademie recken musste. Ihre eigenen Bilder sind Farb-Höhlen, theatralische Erlebnis-Räume, kosmische Erdlandschaften. Ihre Sprühpistole ist ein Werkzeug, das vor nichts Halt macht, der eigene Schlafraum wurde quietschbunt getönt, ein Bungalow mit Garten am Strand von Long Island in Rot-Weiß besprüht. Was ihr vor die Pistole kommt, verwandelt sich in Farbkaskaden und Akkorde, die nicht allein gesehen und gehört, sondern ganzheitlich sinnlich gespeichert werden.

„Ich möchte Emotionen komprimieren“, sagt Grosse, „heftige Erschütterungen auslösen.“ Störungen seien ein wichtiger Nebeneffekt ihrer Werke, positive wie negative, die Änderungswille auslösten. „Nur so kann radikale Empathie entstehen“, meint die Künstlerin.

 Mit 39 anderen Frauen ist sie als Team beim Modemagazin angetreten, jüngeren und älteren, dicken und dünnen, deutschen und ausländischen, Kreativen aus vielen Sparten. Sie wollte Mut zum Experiment beweisen, dass Solidarität unter Frauen möglich ist und eine große Kraft hat. Eigentlich ein alter Hut, der dennoch als Januarbotschaft im neuen Jahrzehnt nichts an Aktualität eingebüßt hat, da die Einlösung noch auf sich warten lässt.

Die Modewelt ist oft nur eine idealisierte Scheinwelt mit unterkühlten Abbildern von Frauen, falschem Lächeln und gekünstelten Augenaufschlägen. Alles ist dort ausgespart, was in der Gesellschaft tatsächlich das Leben bestimmt, Sexismus, Rassismus, Klassenschranken, Rollenentwürfe. Grosse sagt: „Wir kreisen im Leben immer um ähnliche Fragen – wer bin ich, was möchte ich sein, was mache ich hier, und wer sind die anderen?“ Dabei sucht die Künstlerin in ihrem Werk wie auch in dieser Gastkuratorentätigkeit nach Prototypen von Wirklichkeit, die Komplexität nicht reduzieren, sondern die Komplexität von Gleichzeitigkeit feiern.

So schafft Grosse auf ihrem Exkurs dasselbe wie in ihrer frei angelegten Kunst: die Vielstimmigkeit von Unterschieden zu zeigen. Ergebnis ist es, die Schönheit von Solidarität zu beweisen und die Solidarität von Schönheit. „Die Energie der Frauen hat alles gesprengt“, sagt Grosse zu ihrem Zeitungsprojekt, ihrem jüngsten Kunstwerk. Auf Seite 85 trägt sie fuchsiafarbene XXL-Klamotten von Chanel.

Wild und entschlossen sieht sie da aus, ein taugliches Schönheitsideal für das soeben anbrechende Jahrzehnt.

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