Düsseldorf US-Forscher über das andere Europa

Düsseldorf · Dass nun in Düsseldorf eine der weltweit größten Fachtagungen für Geisteswissenschaftler stattfand, ließe sich glatt als klares Zeichen verstehen: gegen den Trend zur Renationalisierung, der nun im Brexit-Referendum konkrete Gestalt annahm.

Denn erstmals fand das Jahressymposiums der 1883 gegründeten Modern Language Association of America, dem größten Berufsverband für Sprach- und Literaturwissenschaftler in den USA, außerhalb Nordamerikas statt - nämlich mitten in Europa. Hinwendung statt Abgrenzung also, sogar transkontinental.

300 Wissenschaftler aus der ganzen Welt hatten sich angekündigt, darunter Lehrende der US-Elite-Colleges Columbia, Princeton und Yale, um an der Heine-Uni über "Other Europes" zu sprechen - über andere Europa. 67 Themenschwerpunkte standen auf dem dreitätigen Programm, rund 200 Vorträge über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kontinents im Film, Theater und vor allem in der Literatur. Da diskutierten Spezialisten das Heimat-Verständnis im Werk der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, über moderne Shakespeare-Adaptionen in Irland und dem Nahen Osten oder den Roman "Unterwerfung" von Michel Houellebecq, der darin ein Frankreich im Jahr 2020 entwirft, in dem ein muslimischer Staatspräsident die Scharia einführt. "Kein gutes Buch, aber interessant", sagt Susan Suleiman, die in Harvard lehrt.

Natürlich fand die Tagung unter dem Eindruck der großen Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre und dem Erstarken der europakritischen bis -feindlichen Bewegungen innerhalb der EU statt. Die Idee von Europa wirke wohl am stärksten auf die, die draußen stehen, sagte Andreas Huyssen von der Columbia University in New York. Der kommende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union spielte indes nur eine untergeordnete Rolle, schließlich ereilte er die Teilnehmer erst während der Konferenztage. "Während wir hier sitzen, fällt Europa auseinander", sagte Deniz Göktürk von der University of California. Mit der Ankündigung Schottlands, nun über die Lossagung von Großbritannien abstimmen lassen zu wollen, erlebe man womöglich den Beginn einer Neukartierung Europas, sagte sie.

Wie es nun weitergehe, könne nur die Zukunft zeigen, sagte Huyssen, der zur Rückbesinnung auf die EU-Charta aufforderte. Die Präambel beginnt so: "Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden." Passend das Schlusswort zur Tagung. "Let's keep up the conversation", hieß es zuletzt. Die Gespräche sollen fortgeführt werden.

(kl)
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