Interview mit Ursina Lardi „Ich habe auch schon Ödipus und Lenin gespielt“

Düsseldorf · Als „Salome" in der Düsseldorfer Inszenierung von Einar Schleef wurde die gebürtige Schweizerin Ursina Lardi schlagartig bekannt. 24 Jahre später kommt sie mit dem Marathon „Unendlicher Spaß" zurück. Ein Gespräch über Prägungen und Grenzgänge.

 Ursina Lardi in dem WDR-Tatort „Freddy tanzt“.

Ursina Lardi in dem WDR-Tatort „Freddy tanzt“.

Foto: WDR/ARD/WDR

Zum hochrangigen Ensemble von „Unendlicher Spaß", einem Gastspiel im Rahmen des „Asphalt-Festivals", gehört auch Ursina Lardi. Mit ihr kehrt am Sonntag eine Schauspielerin nach Düsseldorf zurück, die am hiesigen Theater ihren künstlerischen Durchbruch erlebte. 24 Jahre ist es her, seitdem sie als „Salome" in der umstrittenen Inszenierung von Einar Schleef schlagartig bekannt wurde.

Frau Lardi, welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Lardi Es war mein erstes Engagement nach der Schauspielschule Ernst Busch. Ein holpriger Start, man gab mir anfangs nur kleine Rollen. Niemand traute mir so richtig viel zu. Doch dann kam noch in der ersten Spielzeit Einar Schleef und sagte: „Das ist meine Salome."

Sie mussten sich dafür eine extrem hohe Stimmlage zulegen und sie das ganze Stück über beibehalten. Wie haben Sie das empfunden?

Lardi Dieses hohe Falsett war für mich keine Kunstsprache, die ich mir hätte antrainieren müssen. Für die Verfasstheit der Figur war diese Spielweise von der ersten Probe an naheliegend, auf eine eigenartige Weise natürlich und regelrecht zwingend. Mir hat sie eine besondere Energie und eine beißende Klarheit gegeben. Im Zusammenhang mit "Unendlicher Spaß" bin ich auf eine Beschreibung gestoßen, die schon für „Salome“ treffend gewesen wäre: „psychotischer Realismus".

Das Publikum reagierte teilweise irritiert, die Rede war gar von einem Skandal.

Lardi Ja! Der Stückbeginn war ein stehendes Bild, 15 Minuten der Stille, dann war Pause. Die Leute sind zum Teil durchgedreht, haben uns beschimpft, haben Türen knallend das Theater verlassen. Angenehm ist das nicht, trotzdem kann man auf der Bühne Kraft daraus ziehen. Es ist eine Gesundschrumpfung des Publikums. Wer bleibt, will es auch wirklich wissen.

Für Sie aber war "Salome" ein Riesenerfolg. Wie stark prägten Sie Rolle und Regisseur?

Lardi Die Inszenierung war für mich ein Türöffner. Jeder in der Branche hatte sie gesehen, jeder kannte einen. Aber was noch wichtiger ist, als Künstlerin hat mir diese Rolle gleich zu Beginn ganze Welten aufgestoßen, die ich nach und nach betreten konnte. Jegliche Scheu gegenüber Dingen, die man nicht sofort als plausibel begreift, war weg. Plötzlich wusste ich, auf der Bühne ist alles möglich. Dieses künstlerische Selbstbewusstsein verdanke ich Einar Schleef. Leider ist er viel zu früh gestorben.

Gab es ähnlich extreme Erfahrungen mit anderen Regisseuren?

Lardi Ich habe immer wieder danach gesucht. Wie weit kann man gehen? Das treibt mich bis heute auf der Bühne an. Mit Thorsten Lensing etwa, dem Regisseur von "Unendlicher Spaß", arbeite ich seit vielen Jahren zusammen. Es sind intensive, großartige Abende entstanden. Milo Rau ist auch ein Regisseur, mit dem Grenzgänge möglich sind.

Man staunt über die Besetzung dieser Inszenierung. Hier versammelt sich die erste Riege der deutschen Schauspieler. Künstler, die an unterschiedlichen Theatern beheimatet sind. Wie bekommt man die unter einen Hut?

Lardi Wir haben in drei Jahren über 50 Vorstellungen gespielt. Terminlich ist es nicht immer einfach. Weil aber alle so sehr an die Sache glauben und bereit sind, dafür andere Dinge hintan zu stellen und diesen Wahnsinn gemeinsam durchzuziehen, gelingt es uns immer wieder. Uns alle verbindet eine lange und enge Arbeitsbeziehung.

Das Stück ist ein vierstündiger Marathon. Mögen Sie etwas über Ihre Figur Hal Incandenza erzählen?

Lardi Da zitiere ich am besten Hal selbst: „Ich bin ein privilegierter, weißer, 17-jähriger US-Amerikaner. Ich esse, trinke, entleere mich, unterstreiche Dinge mit gelben Textmarkern und schlage Bälle.“ Ich spiele gerne mit den Entfernungen zwischen mir und der Figur. Allein schon Geschlecht und Alter machen die Rolle für mich aufregend. Das Changieren zwischen den Geschlechtern hat mich schon immer interessiert, ich habe auch schon Ödipus und Lenin an der Schaubühne Berlin gespielt. Immer sehr feminin natürlich.

Ist also ist der "Unendliche Spaß" auch ein Spaß für Sie?

Lardi Es ist eine Freude. Eine große Freude. Und eine sehr energetische Sache.

Sie haben an den namhaftesten deutschen Bühnen gespielt. Neben Ihrer Theaterkarriere machten Sie bei Film und Fernsehen mit einem breiten Spektrum an Charakterrollen auf sich aufmerksam. Fiel die Entscheidung immer leicht?

Lardi Meistens ja. Da eine gewisse Komplexität der Rolle für mich die Entscheidungsgrundlage ist, sehe ich meist sehr schnell, ob ein Text für mich etwas taugt oder nicht.

Sind Sie eine glückliche Schauspielerin?

Lardi Ich bin eine Schauspielerin, die viel Glück hatte. Und ich habe auch immer wieder das Risiko gesucht, bin unbequemen Menschen oder heiklen Aufgaben nicht aus dem Weg gegangen, habe mich hin und wieder auch blamiert. Es war alles dabei.

Regina Goldlücke führte das Interview

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort