Interview "Theater braucht eine neue Spielkultur"

Düsseldorf · Der neue Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses Staffan Valdemar Holm hat mit 15 Premieren und einem Gastspiel-Festival den Einstieg hinter sich. Der Schwede fühlt sich wohl am Rhein, doch die Kritiker - so lautet seine Bilanz - müssten seine Handschrift erst noch kennen lernen.

 Staffan Valdemar Holm, Intendant des Schauspielhauses.

Staffan Valdemar Holm, Intendant des Schauspielhauses.

Foto: Endermann, Andreas

Sie hatten durch den langwierigen Umbau des Großen Hauses einen schwierigen Start — wann hatten Sie das Gefühl, in Düsseldorf angekommen zu sein?

Holm Gar nicht, ich bin noch nie irgendwo angekommen. Das hat mit meinem Beruf zu tun, man muss als Theatermensch vagabundieren. Ich bin nicht zuhause in Düsseldorf, aber ich fühle mich dort wohl.

Sie versuchen nun als Intendant, Theater zu zeigen, das sich auf den Text und die Schauspielkunst besinnt. Von der Kritik ist das durchwachsen aufgenommen worden. Fühlen Sie sich unverstanden?

Holm Die Kritiker müssen meine Handschrift erst kennen lernen. Es gibt bei manchen eine Blindheit für alles, was im Innenleben von Figuren geschieht, das glaube ich schon. Die Rezensenten interessieren sich mehr für die äußere Form. Aber auf der Bühne kommt alles von Innen. Deutschland hat jetzt etwa 30 Jahre postdramatisches Theater hinter sich. Die Provokation ist Konvention geworden. Jetzt geht es darum, sich wieder auf das Spiel und die Sprache zu konzentrieren. Das ist nicht konservativ, das ist radikal.

Wie würden Sie denn die Handschrift charakterisieren, für die das Düsseldorfer Schauspielhaus unter Ihrer Leitung stehen soll?

Holm Man kann diese Frage schwer beantworten, wenn man nicht nur eine Floskel dahinsagen will. In Düsseldorf gibt es keine vielfältige Theaterlandschaft wie in Berlin. Darum darf das Theater hier nicht nur einen Stil zeigen, sondern muss Vielfalt in ein Haus holen. Ich versuche also nicht, eine Handschrift zu etablieren, aber einen Geist: das Streben nach Exzellenz.

Sie haben in Theatern in ganz Europa inszeniert. Eine dieser Arbeiten bringen sie jetzt aus Serbien nach Düsseldorf: Euripides "Bakchen" mit dem Belgrader Nationaltheater. Warum dieses Gastspiel?

Holm Belgrad wurde 1999 im Jugoslawienkrieg bombardiert. Die Schauspieler haben das mitgemacht. Sie haben erlebt, wie sich ihre Welt in kurzer Zeit fundamental verändert hat. Und genau darum geht es in den "Bakchen". Die Darsteller tragen auf tragische Weise alles, worum es bei Euripides geht, in sich. Das muss man erleben, wie sie dieses Stück spielen, das ist absolut außergewöhnlich.

Bisher hat Ihr Publikum auf Produktionen in anderen Sprachen zögerlich reagiert. Sie halten aber an dem Versuch fest, in Düsseldorf ein internationales Programm zu zeigen. Kann man ein Publikum erziehen?

Holm Das ist ein Prozess, ich würde eher von einer Verführungsstrategie sprechen. Am Anfang muss man sehr direkte Kanäle finden, um die Menschen für außergewöhnliche Theater aus anderen Ländern zu interessieren. Weil es gut ist. International zu arbeiten, ist keine fixe Idee, das ist heute eine Notwendigkeit.

Gibt es denn heute überhaupt noch "das Publikum"?

Holm Es gibt eine Art Selbstbewusstsein des Publikums, eine Vorstellung der Kernzuschauerschaft davon, wer sie sind. Spannend ist, wie sich diese Auffassung dann multipliziert zum Gesamtpublikum. Das kennen wir in Düsseldorf noch nicht ganz genau. Wir stellen nur fest, dass uns bisher vor allem das Publikum zwischen 30 und Mitte 40 fehlt, weil dies das Alter ist, in dem die Menschen Familien gründen, an den Stadtrand ziehen. Aber das geht den meisten Theatern so. Ich suche in Düsseldorf noch nach dem kreativen Milieu, etwa dem Umfeld, in dem sich die Kunstakademiestudenten bewegen. Ich habe zwei Kinder, 20 und 24 Jahre alt, die wissen in Berlin, wo sie hingehen müssen, aber in Düsseldorf nicht.

Im Jungen Schauspielhaus ist der Einstieg nicht besonders gut geglückt. Vor allem das Weihnachtsmärchen "Peter Pan" ist wegen vieler brutaler Szenen in die Kritik geraten.

Holm Ich finde Barbara Kantels Neudefinition eines Kinder- und Jugendtheaters sehr zeitgemäß, sebstbewußt und mutig. Das ist doch klar, daß nicht alles auf Anhieb klappt und Teile des Publikums Liebgewonnenes vermissen. Übrigens war Peter Pan immer ausverkauft.

Das sind die Weihnachtsstücke immer.

Holm Theater handelt nun mal von Gewalt. "Hamlet", "Richard III.", Shakespeare überhaupt ist Auseinandersetzung mit Moral und Gewalt.

Beim Jugendtheater muss man aber doch wohl fragen, wie das geschieht?

Holm Ich denke über "Peter Pan" hätten wir mehr mit dem Publikum reden müssen und erklären, in welchem Verhältnis bestimmte Darstellungen auf der Bühne zu Gewalt etwa im Fernsehen stehen. Das ist eine interessante Frage, weil es um schwierige Darstellungsmittel geht, wie etwa Ironie.

Sie inszenieren im März "Richard III." und damit zum zweiten Mal in Ihrer Intendanz Shakespeare. Greifen Theater immer wieder auf diese großen Stoffe zurück, weil die jüngere Dramatik nicht genug Texte mit der Vielschichtigkeit eines Shakespeare bereithält?

Holm Shakespeare hat seine Stücke offen geschrieben, das ist Sprache, die auf eine Bühne ohne Innenräume gestellt wurde —in ein Exterieur. Das gleiche taten die Franzosen danach: Corneille, Racine. Dann kamen die Deutschen, Lessing, Schiller, die ihre großen Dramen in Innenräume brachten, in Interieurs. Sie holten die Schlachtfelder in ein Zimmer, setzten die Helden auf einen Stuhl. Bei Ibsen sind sie dann endgültig häuslich geworden. Mit solchen Entwicklungen müssen sich Theatermacher auseinandersetzen, Theater ist eine Interpretationskunst.

Sie haben auffallend wenige Uraufführungen im Programm — genügen denn zeitgenössische Stücke von jungen Autoren ihrem Qualitätsanspruch nicht?

Holm Doch, aber wir hatten nur ein Jahr Vorbereitungszeit, das genügt nicht, um Auftragsarbeiten an gute Autoren zu vergeben. Aber das wird kommen.

Wenn Sie Stücke in Auftrag geben — welche Themen interessieren Sie?

Holm Das möchte ich noch nicht verraten. Aber in jedem Fall gilt, dass sich nicht alle aktuellen Themen für Theater eignen. Fukushima etwa kann man nicht einfach auf die Bühne bringen, ohne dass das wie ein Übergriff wirken würde. Aber es gibt andere aktuelle Themen — zum Beispiel Frauen. Interessant wäre ein Stück, in dem es um Frauenrollen geht, die nicht durch das Geschlecht definiert sind.

Statt auf Uraufführungen setzen Sie aber auf große Schauspielernamen. Werden Leute wie Udo Samel oder Rainer Bock denn wieder in Düsseldorf zu sehen sein?

Holm Ja, das sind Gäste, die gerne wieder bei uns spielen möchten, aber sehr stark beschäftigt sind. Wir müssen also abwarten, wann sie wiederkommen können.

Man hat Sie zum Antritt ignorant den "unbekannten Schweden" genannt. Welchen Titel möchten Sie sich in den nächsten Jahren erarbeiten?

Holm Ich habe viele Titel: Ich war auch schon der "Schweden-Gründgens" oder der "Spaßvogel-Intendant" (lacht). Ich will hier nur gute Arbeit leisten. Wir haben den Start geschafft. Dabei ist noch nicht alles geglückt, aber wir haben angefangen, etwas Gutes aufzubauen und daran bauen wir weiter.

(RP/anch)
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