Düsseldorf Tausend Blätter voller Überraschungen

Düsseldorf · Die Witwe des Schriftstellers Bernt Engelmann hat dem Heine-Institut ihre Sammlung literarischer Schriftstücke geschenkt.

Das Schöne ist, dass sie gar nicht genau wissen können, was sie suchen, weil sie keine Ahnung haben, was sich in dem Material noch versteckt. Mal abgesehen von den Schriftstücken von Else Lasker-Schüler, die sich Sabine Brenner-Wilczek gleich mal angesehen hat, weil die Dichterin sie schon seit dem Studium fasziniert habe, erzählt sie. Da pfiff sie auf die Systematik, alle Ordner dem Alphabet folgend zu sichten, und sprang von A lieber gleich zu L. Dort fand sie unter anderem Lasker-Schülers Gedichtband "Mein blaues Klavier" von 1943. Und wenn man's aufschlägt - "nicht zu sehr", sagt Brenner-Wilczek -, findet sich gleich vorne die Handschrift der Dichterin. Sie hatte dort Anfang der 1940er im Jerusalemer Exil ihr Gedicht "Der Tibetteppich" niedergeschrieben.

Der Band ist Brenner-Wilczek zufolge eines von nur 330 seltenen Exemplaren, und er liegt nun dem Heinrich-Heine-Institut vor - samt Niederschrift der Dichterin. Es ist einer der Funde, den die Wissenschaftlerinnen in den Bergen von Papier gemacht haben, durch den sie sich zurzeit arbeiten. Denn das Haus hat eine große Sammlung von Schriftstücken geschenkt bekommen, die zwei Damen aus München in 30 Jahren zusammengetragen haben. Die eine ist die Journalistin Rita van Endert, die andere Kirsten Engelmann, Witwe des Schriftsteller Bernt Engelmann, und wie ihr Mann von der Sammelleidenschaft gepackt. Dessen Autografen-Sammlung hat das Heine-Institut bereits vor 20 Jahren gekauft - sein Nachlass befindet sich auch im Instituts-Archiv. Nun haben auch Kirsten Engelmann und van Endert ihre Sammlung dem Institut überlassen, und zwar umsonst. Die Auflage: Das Material soll an die Öffentlichkeit, also in Ausstellungen gezeigt und der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Das Besondere: Die Damen haben nur Schriftstücke von Autorinnen gesammelt. Weil sie bemerkt hatten, dass sich im Fundus von Bernt Engelmann hauptsächlich Stücke männlicher Autoren fanden, legten sie eine komplementäre Sammlung an.

Die liegt nun also im Heine-Institut und umfasst mehrere tausend Handschriften von 450 Autorinnen aus dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Darunter sind Stücke von Annette von Droste-Hülshoff, von Ingeborg Bachmann und Erika Mann. Von Irmgard Keun (1905-1982) findet sich ein Gedicht, das sie im Exil in Den Haag aufs Grand-Hotel-Papier schrieb. Von Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs ist ein Brief aus Stockholm dabei. Sie seien mit einem Lkw nach München gefahren, um das Material abzuholen, erzählt Brenner-Wilczek, die das Heine-Institut leitet. "Wir hatten den Wagen dann ganz schön voll." Seit sich das Institut erstmals 2006 für eine Ausstellung Stücke von Engelmann und van Endert geliehen hatte, war man in Kontakt. "Wir haben intensiv um die Sammlung geworben", sagt Brenner-Wilczek. "Die Damen hätten sie auch verkaufen können." Die entschieden aber anders. "Vom Umfang bis zum Wert ist es eine der außergewöhnlichsten Schenkungen in der Geschichte des Heine-Instituts", sagt Brenner-Wilczek.

Bislang war das Material in Folien und Aktenordnern gelagert, geordnet nach dem Alphabet. Viele Umschriften hatte Rita van Endert schon vorgenommen. In Düsseldorf nenne man sie darum schon "unsere beste Mitarbeiterin in München", sagt Gaby Köster vom Heine-Institut, die sich nun intensiv mit der Sammlung beschäftigt. Von A bis Z soll das Material in den kommenden Monaten durchgearbeitet werden, Blatt für Blatt wird in säurefreies Papier eingeschlagen und vor äußeren Einflüssen sicher eingelagert. Mit der Zeit soll die Sammlung schließlich gesichtet und digitalisiert werden. Mindestens ein Jahr werde das wohl dauern, sagt Köster. "Ich werde sicher noch einiges entdecken."

Gefunden hat sie bei der ersten Durchsicht schon einen herrlichen Brief, in dem sich Bettina von Arnim 1846 übers Lektorat auslässt, nachdem ihr die Korrekturen zu einer geplanten Veröffentlichung nicht wie gewünscht ausgehändigt wurden. Auf ihren "ausdrücklichen Befehl" sollten die Korrekturen künftig doch bitte "direkt von der Druckerei an mich gesandt werden", schrieb sie. Befehl Ende.

(kl)
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