So trainieren die Profis vom Rheinopern-Ballett Schwitzen für die Spitze

Der Spitzenschuh ist das Symbol des Balletts schlechthin, er bedeutet Schinderei. Ballettdirektor Demis Volpi hat seiner Compagnie ein spezielles Trainingsprogramm verordnet.

 Solistin Simone Messmer beim Tanz auf der Spitze in "A First Date Episode". Mit der Choreografie ist Demis Volpi im Herbst 2020 in  Düsseldorf gestartet.

Solistin Simone Messmer beim Tanz auf der Spitze in "A First Date Episode". Mit der Choreografie ist Demis Volpi im Herbst 2020 in  Düsseldorf gestartet.

Foto: DOR/Bernhard Weis

Ballettkunst ist Knochenarbeit. Wer als Luftwesen über die Bühne schwebt, hat zuvor seine Muskel-Gelenk-Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Der ursprünglich auf Märchenklassiker wie „Giselle“ abonnierte Spitzentanz gedeiht ganz unromantisch auf dem Boden der Tatsachen.

Das bekam auch Demis Volpi, seit dieser Spielzeit Ballettdirektor in Düsseldorf, zu spüren, als er vor einigen Jahren mit dem Ballett Stuttgart ein Stück einstudierte. „Du musst selbst mal in einem solchen Schuh stehen, damit du weißt, wie sich das anfühlt“, murrte eine Tänzerin, nachdem sie sich vergeblich bemüht hatte, die choreografischen Vorgaben umzusetzen.

Volpi besorgte sich ein Paar Spitzenschuhe. Sie boten seinen Füßen jedoch nur leidlich Platz, die Fersen ragten heraus. Dass ihm dennoch Pirouetten gelangen, bezeichnet er als „reines Glück“. Heilfroh sei er gewesen, die „Dinger“ wieder auszuziehen. Wo es für die Tänzerin hakte, hatte er begriffen. Der Spitzentanz fordert eine Compagnie stets neu heraus. Volpi schwört das Ballett am Rhein mit einem speziellen Trainingsprogramm darauf ein.

 Dazu muss man wissen, dass der Tanz auf den Zehenspitzen Jahrhunderte lang Sache der Frauen war. In den 1970er-Jahren machten sich dann Männer-Ensembles die Kunst zu eigen, um Ballettklischees zu persiflieren; schließlich setzten Starchoreografien wie Mats Ek und William Forsythe den Spitzenschuh als geschlechterneutrales Stilmittel ein. Trotzdem bilden bis heute auch moderne Kaderschmieden vornehmlich Frauen im Spitzentanz aus.

Demis Volpi ist der Überzeugung, dass sich eine Compagnie dann ideal entwickelt, wenn dem Knowhow der eigenen Leute Input von Gästen hinzugefügt wird. Zumal wenn sie sich, wie im Fall des Balletts am Rhein, neu formiert. „Ich möchte nicht mit einem Tunnelblick arbeiten“, sagt der Chef. „Wir dürfen nicht müde werden, unsere Arbeitsabläufe zu optimieren.“

Dies gelte insbesondere für die technischen Belange der Tänzerinnen und Tänzer. Externe Experten seien hier wertvolle Ratgeber. Also hat er den Direktor des Tschechischen Nationalballetts, Filip Barankiewicz, engagiert, den argentinischen Tänzer Julio Bocca, der viele Jahre am American Ballett Theatre (ABT) war, Paola Vismara, einst Prima Ballerina an der Mailänder Scala, und Lynne Charles. Die US-Amerikanerin war Solistin bei John Neumeier und Maurice Béjart, heute ist sie als Ballettmeisterin am Badischen Staatstheater Karlsruhe tätig.

„Von dem spezifischen Wissen der Künstler und Lehrer möchten wir profitieren.“ Barankiewicz kennt Volpi aus seiner Zeit als Tänzer in Stuttgart. „Er ist ein starker Techniker und hat mir die Angst vor den großen Sprüngen genommen.“ Lynne Charles hat er in Gelsenkirchen beim Unterrichten erlebt. Ihr ungewöhnliches Spitzentanz-Training faszinierte ihn, gerade hat sie die Düsseldorfer Compagnie darin unterrichtet. Volpi: „Wenn man einmal auf der Spitze steht, ist alles gut. Die viel wichtigere Frage ist jedoch, wie kommt man elegant hinauf und wieder herunter?“

Ein solcher gelungener Übergang bedarf einer großen Kraft und Kontrolle in der Muskulatur unter den Füßen. Um dies zu optimieren, arbeitet Lynne Charles mit der Viertelspitze. Die Tänzer ertüchtigen die Unterseite ihrer Zehen und lernen in den Bruchteilen der Übergänge Richtung Ferse oder Zehenspitze eine Stärke zu finden.

Volpi setzt in seinen Choreografien häufig Spitzenschuhe ein. Als zeitgenössischer Künstler sieht er seine Aufgabe darin, die Tradition weiterzuentwickeln. „Ich möchte jedoch nicht die Schwerelosigkeit, sondern das Gewicht nach außen spürbar zu machen.“ Auch als Klangobjekt nutzt er den Spitzenschuh. In seinem Werk „Aftermath“ (Nachwehen) aus dem Jahr 2014 lässt er 31 Tänzerinnen in Spitzenschuhen gegen das Orchester antreten. Volpi: „Das war Dialog und Kampf zugleich.“

Wer plakativ auf den Spitzenschuh blicke, sehe Tutus und Elfen und pflege womöglich das eindimensionale Bild einer fragilen Ballerina. „Jedoch konnten sich Frauen andererseits mithilfe des Spitzenschuhs in berühmten Balletten in den Mittelpunkt stellen. Darin steckt auch eine Stärke, sagen Tänzerinnen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort