Düsseldorf Tanz mit überlebensgroßen Müttern

Düsseldorf · Das Theaterkollektiv She She Pop macht aus Igor Strawinskys "Frühlingsopfer" ein Generationen-Stück.

Das Performance-Kollektiv She She Pop spricht mit seinen Müttern. Nachdem es für das gefeierte Stück "Testament" die Väter auf die Bühne geholt hatte, werden für das "Frühlingsopfer", eine Koproduktion mit dem FFT, nun die Mütter befragt. Die sind allerdings nicht live anwesend, sondern tauchen als überlebensgroße Videoprojektionen hinter den Performern Berit Stumpf, Johanna Freiburg, Sebastian Bark und Ilia Papatheodorou auf. So schauen sie den Kindern über die Schulter, die wiederum zu ihnen aufschauen müssen. Ein symbolträchtiger Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung der Generationen.

Und eine prächtige Gelegenheit, mal ein paar Dinge loszuwerden. Dabei ist die erste Beobachtung schon die bemerkenswerteste: "Meine Mutter hatte mich auf ein Fest mitgenommen, und ich habe mit allen Mitteln versucht durchzusetzen, dass sie nicht tanzt. Ich wollte einfach nicht, dass sie frei ist und mit allen in Kontakt steht." Da steckt vieles drin, Eifersucht, kindlicher Konservatismus, Angst vor dem Fremdschämen. Tanzen werden alle Beteiligten an diesem Abend dennoch, schließlich heißt es "Frühlingsopfer, aufgeführt von She She Pop und ihren Müttern". Das epochale Ballettwerk Igor Strawinskys steht im Mittelpunkt der Performance, in der Version des Cleveland Orchestra unter der Leitung von Riccardo Chailly aus dem Jahr 1985. Zu naheliegend schien wohl die Parallele von Mutter- und Opferrolle als Stereotyp, auch wenn modernere Positionen die Selbstbestimmung betonen und die Opferhaltung nur als den ersten Schritt aus der gewohnten Rolle sehen. Was aber geschieht, wenn zwei Wahrnehmungen aufeinanderprallen?

Wenn die Mutter die Tochter durchaus mit ihrem Leben als Opfer konfrontiert? Distanz ist eine Strategie "Einer von uns zeigt seiner Mutter gegenüber neutrale Indifferenz." - "Eine der Mütter beschwert sich, dass ihr ihre Tochter dauernd aus dem Weg geht." Mit letzter Konsequenz: "Einige von uns haben sich eine Ersatzfamilie konstruiert", sagt schließlich Sebastian Bark, einziger Mann im She-She-Pop-Kollektiv. "Jetzt sind wir alle nur noch Schwestern." Er zögert. "Und ich." Aber gerade er liegt später in einer kunstvollen Videoüberblendung wie bei einer Pietà in den Armen seiner Mutter.

Ansonsten legen She She Pop eine gelassene Ironie an den Tag, und es gelingt ihnen, Spannungen und Konflikte anzusprechen, ohne die ein oder andere Partei zu einem Seelen-Striptease zu zwingen. Hier ist auch kein John Lennon am Werk, der nach einer Urschrei-Therapie Anfang der 70er den Schmerz über den Verlust der Mutter in seinem Song "Mother" hinausschrie. Neben den Texten verblasst der Tanz ein wenig. Es ist aber auch schwierig, sich nicht-professionell zu "Sacre du printemps" zu bewegen, ohne in die Fallen des Ausdruckstanzes zu tapsen. Dabei machen die Mütter eine bessere Figur, werden auch in den Videos bezwingend in Szene gesetzt, mal exotisch, mal unheimlich. Und insgeheim wünscht man sich, jetzt wäre es aber mal genug mit all den Verwertungen des Frühlingsopfers. Trotzdem: ein eindringlicher und stimulierender Abend, der im sehr gut besuchten Haus mit großem Applaus bedacht wurde. Und der oder die ein oder andere werden sich später vielleicht fragen: Warum bin ich so geworden, wie ich bin? Auch wenn die Antwort nach diesem Stück lauten dürfte: Niemand hat Schuld.

(RP)
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