Inszenierung in Düsseldorf sorgt für Empörung "Tannhäuser" mit Hitlergruß und Gaskammer

Düsseldorf · Regisseur Burkhard C. Kosminski erzählt Wagners "Tannhäuser" als missglückte Nachkriegs-Läuterung eines SS-Mannes. Verärgerte Zuschauer verließen die Rheinoper, Intendant Christoph Meyer musste auf der Premierenfeier die Gäste zur Ordnung rufen.

Eklat bei "Tannhäuser"-Premiere in Düsseldorf
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Eklat bei "Tannhäuser"-Premiere in Düsseldorf

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Zu den Hilfsmitteln mancher Regisseure zählt der Holzhammer, mit dem sie ihre Botschaften ins Gehirn der Zuschauer prügeln. Nicht selten handelt es sich dabei um weit hergeholte Botschaften, an die die Regisseure selbst nicht glauben, die jedoch maximale öffentliche Aufmerksamkeit garantieren. Das scheint erforderlich, weil auch der prüdeste Opernbesucher etwa vom Anblick nackter Leiber und ächzender Kopulationen längst übersättigt ist.

Dass auf einer Bühne Nazi-Metaphorik bedient wird; dass NS-Schergen, Wehrmachtsgeneräle und Gestapo-Leute umherstapfen, ist erst recht Ausdruck einer sehr entbehrlichen und verdrießlichen Regie-Folklore, die mit verschwenderischer Beliebigkeit alles dekoriert, dessen sie sich bemächtigt — seien es komplexe Werke wie die "Meistersinger" oder Schmonzetten wie "Die eitle Försterbraut" von Wilhelm A. Krummbiegel.

Nur wenigen Könnern gelingt es, politisches Musiktheater mit ästhetischer Klugheit in dunkelste Zeiten umzulenken, ohne dass man sich wie bei einem Abend der Bundeszentrale für politische Bildung fühlt, den ausnahmsweise ein Schreihals moderiert.

Minutenlange Interventionen mit Rufen

Diese Vorbemerkungen sind leider unerlässlich, weil in der Düsseldorfer Rheinoper nun als Hilfsmittel eines Regisseurs das Schlachtermesser zum Einsatz kommt. Burkhard C. Kosminski erzählt Wagners "Tannhäuser" als missglückte Nachkriegs-Läuterung eines SS-Mannes und Kriegsverbrechers. Dessen Entnazifizierung will nicht glücken, weil der Mann immer noch im Bann einer sinnenfrohen Nazi-Megäre in Wehrmachtsuniform mit Schiffchen steht. Am Ende werden beide in hintere Gemächer entschwinden, nachdem die fromme, sehr duldsame Elisabeth erst zur Nonne mutiert ist und sich dann die Pulsadern aufgeschlitzt hat.

Dieses Grundarrangement begründet Kosminski mit der Schuld, die Tannhäuser im Venusberg auf sich geladen habe. Was dieser Venusberg ist? In der Ouvertüre sehen wir nackte Leiber, die in gläsernen Gaskammern choreografisch benebelt zu Boden sinken. Später im ersten Akt lässt Kosminski die Musik anhalten, und dann muss Tannhäuser mit SS-Armbinde eine deportierte Kleinfamilie (Juden? Polen? Tschechen?) mit Pistole exekutieren, nachdem finstere Herren die beiden Eltern ausgezogen und geschoren haben.

In dieser stillen, in Wirklichkeit vulgär brüllenden und von Schüssen durchgellten Szene können etliche im Auditorium nicht an sich halten, es gibt minutenlange Interventionen mit Rufen wie "Pfui", "Aufhören", "Skandal", "Was hat das mit Wagner zu tun?". Einige Besucher verlassen türenschlagend das Haus. Andere stehen kurz vor einer Übelkeit. Wieder andere warten, bis der Spuk vorbei ist.

Abstruseste Regieeinfälle

Dieser Moment zeigt nicht nur eine völlig unsensible Haltung gegenüber empfindlichen oder durch ihre eigene Biografie betroffenen Naturen im Publikum. Sie bietet auch eine handwerklich, dramaturgisch und interpretatorisch geradezu verheerende Fehlleistung, wie der Rezensent sie auf diesem Niveau selten erlebt hat.

Tannhäuser — darum geht es jedenfalls bei Wagner — begeht kein Verbrechen an der Menschheit, sondern betrügt eine ihm devot ergebene Dame (Elisabeth) mit einer anderen Dame von etwas zweifelhaftem Leumund (Venus) — sofern man von Betrug überhaupt sprechen kann, denn der Mann befindet sich bindungstechnisch in einem sehr frühen bzw. wieder sehr späten Entwicklungsstadium. Ihm jetzt eine höhere sittliche Deformation anzudichten, ist völlig wider den Geist der Oper und dessen finale Erlösungskomponente, bei der Wagner Kirchenkritik als Trumpf ausspielt: In "Tannhäuser" verwehrt der Papst in Rom die Erlösung, aber Gott gewährt sie.

Im weiteren Fortgang dieser öden Transformation, die wahlweise den Reichsadler oder den Bundesadler als Wappentier über die Bühne von Florian Etti hängt, kommt es zu den abstrusesten Regieeinfällen. Den Chor führt Kosminski kein einziges Mal intelligent; dem Wolfram von Eschenbach verordnet er ein mehrminütiges Wahnsinns-Delirium, wenn er die Wiederbegegnung Tannhäusers und Elisabeths miterleben muss. Kosminski kann sich auch nicht entscheiden, wie realistisch oder diffus die Alpträume ausfallen sollen, von denen Tannhäuser immer wieder heimgesucht wird.

Von geradezu unheimlicher musikalischer Güte

Ohnedies gewinnt die Titelfigur, die zwischendurch den Hitlergruß übt, kein glaubhaftes Profil. Hängt Tannhäuser an einer Ideologie (dem Faschismus) oder an einer Frau (Venus), die von dieser Ideologie parasitär befallen ist? Kosminski erklärt es nicht. Nur nebenbei wollen wir erwähnen, dass eimerweise Blut nach diversen Schlachtungen hinter der Szene in eine textile Rinne rauscht und alle Hosen und Hemden besudelt, weswegen nach der Premiere einige Waschmaschinen angeworfen werden müssen.

In der Pause sagt jemand, Besucher der weiteren Aufführungen sollten jene Schlafbrillen mitbringen, wie sie diverse Airlines bei Interkontinentalflügen anbieten. Sie könnten den ganzen ersten Akt also verblindet erleben, was die Sinne für die geradezu unheimliche musikalische Güte des Abends schärfen würde.

Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker gewähren eine wundervoll nuancierte, frivol rauschende, mittelalterliche gekühlte und doch sich erhitzende Interpretation mit delikaten Orchesterfarben; allein der Beginn mit den Holzbläsern war eine Wonne. Kober wird im Sommer den Grünen Hügel mit Leichtigkeit erobern; dort ist die umstrittene Baumgarten-Inszenierung des "Tannhäuser" ein Schrebergarten-Idyll gegen diesen Düsseldorfer Müllhaufen.

Apropos Bayreuth: Die großen Gesangspartien sind in Düsseldorf festspielwürdig besetzt. Daniel Frank als Tannhäuser mit heldischer Italianità, Elisabeth Strid als emphatische Elisabeth, Elena Zhidkova als gleisnerische Venus, Markus Eiche als aufbegehrender Wolfram — sie alle hätten wir mit dem prächtigen Chor gern in eine andere Kulisse gebeamt. Aus diesem Traum erwachen wir unsanft, als Kosminski am Ende von Buhs gesteinigt wird. Er scheint es zu genießen.

(csr/csi/jre/anch)
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