„Düsseldorfer Reden“ im Schauspielhaus Harald Welzer und wie er die Welt erklärt
Düsseldorf · Der Sozialpsychologe war Gast bei den Düsseldorfer Reden im Schauspielhaus. Harald Welzer spannt den Bogen vom Krieg in der Ukraine bis zu den ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Er sparte nicht an gepflegten Kraftausdrücken.
Wer in den Olymp der öffentlichen Debatte aufsteigen möchte, muss mehrere Stufen erklimmen: erst die ARD-Talkshow von Anne Will, dann die ZDF-Debattierrunde „Lanz“ und nun am Sonntagmittag die „Düsseldorfer Reden“ im Schauspielhaus. Mit einem augenzwinkernden Blick auf die Kontroversen der vergangenen Wochen begrüßte Lothar Schröder, Kulturchef der Rheinischen Post, den Sozialpsychologen Harald Welzer als dritten Redner jener Reihe, zu der das Schauspielhaus in Kooperation mit der Rheinischen Post bereits im fünften Jahr einlädt.
Um große Themen soll es in den „Düsseldorfer Reden“ gehen; große Worte und gepflegte Kraftausdrücke hatte Harald Welzer im Gepäck: Krieg, Naturzerstörung, Verarmung, Diktaturen.
Vom Krieg im Osten Europas spannte der Soziologe den Bogen weiter zu seinem kurz vor Kriegsende verfassten Titel: „das bedauerliche Ende unseres zivilisatorischen Projektes“. „Die große Notwendigkeit im 21. Jahrhundert besteht darin, ökologische Fragen ins Zentrum zu rücken“, sagte Welzer. Es gehe um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen. Und genau dort beobachtet er keinen Fortschritt, ja inzwischen sogar Rückschritt.
Welzer attestierte den öffentlichen Diskussion unserer Zeit eine große Hysterie und Aufgeregtheit. Man glaube gemeinhin vor einer Krise zu stehen. „Dabei sind wir Teil des Geschehens, das wir zu beobachten meinen.“
Ganz ohne die Ukraine ging es in seinem Vortrag nicht, auch wenn er das Thema eigentlich meiden wollte. Welzer hatte mit anderen Prominenten in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, initiiert von „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer, davor gewarnt, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs heraufbeschworen.
„Dieser an Harmlosigkeit nicht zu überbietende Brief wollte vor den Gefahren, die aus der Logik der Gewalt resultieren, warnen; er forderte zum Dialog, zum Sprechen auf. Eigentlich war der Inhalt nicht bemerkenswert“, stellte Welzer fest.
Doch so unspektakulär dieser Brief auch gewesen sei, er habe zur Diffamierung der Unterzeichner geführt – „und zwar nicht nur in den Institutionen, in denen öffentlich geschissen wird: den sozialen Medien“, so Welzer, sondern auch in der Presse. Ihn selbst habe man als „Fernuniversität von Moskau“ bezeichnet.
Genau diese emotional aufgeladenen, ja hysterischen Reaktionen sind nach Ansicht von Welzer ein Zeichen der Zeit, in der Ereignisse schnell und absolut als Krisen wahrgenommen werden, die man möglichst schnell beenden wolle.
Und da es im Augenblick üblich ist, von Narrativen zu reden: Der Herausgeber des Magazins „Taz.Futurzwei“ zitierte die stellvertretende Direktorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsstudien, Florence Gaub: „Jeder Krieg ist eine Geschichte.“
Der Krieg in der Ukraine sei eine solche vereinfachte Geschichte, die keinen Raum lasse für Differenzierungen und Ambivalenzen. Viele Menschen hätten sich in diese Geschichte eingeschrieben, wollten auf der richtigen Seite stehen.
Im Zuge dieser vereinfachten Geschichte sei auch die aufgeregte Forderung „Wir müssen Druck auf den Kanzler ausüben“ entstanden. „Wie kommt man dazu? Es ist großartig, dass wir Menschen haben, die nachdenken, und abwägen“, konterte Welzer. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Klarheit. Dies ist ein Geschehen, dessen Ausgang wir nicht kennen. Es ist für alle eine zutiefst verunsichernde Situation.“
Die Aufgeregtheit habe er auch empfunden, als man die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine als weithin historisch bezeichnet habe. „What the f… Ob es eine historische Rede ist, wird man drei bis vier Jahrzehnte und nicht drei bis vier Stunden später beurteilen können“, sagte Welzer.
Der Soziologe rief in Erinnerung, dass wir in einem Gesellschaftssystem lebten, dass die größte Freiheit und Lebenssicherheit für die Menschen bedeute. Doch werfe man der Demokratie vor, zu langsam zu reagieren. „Demokratien reagieren auf die Veränderungen des Lebens. Die viel gelobten Diktaturen können das nicht. Sie existieren nur über Gewalt. Früher oder später töten sie Menschen“, sagte Welzer.
Welzer ging aber auch mit dem eigenen Gesellschaftssystem ins Gericht: Der Wachstumskapitalismus sei ein erfolgreiches Projekt gewesen, bei dem es den meisten Menschen sehr gut gehe. Der Preis aber sei die Naturzerstörung gewesen. Keiner wolle etwas von seinen Privilegien abgeben. „So komme es, dass der Fahrer eines schweren SUV vor der schwedischen Schülerin Greta Thunberg zittert“, so Welzer. „Wenn die Priorität künftig auf Verteidigung, Sicherheit und Rüstung lägen, gibt es naturgemäß für Klimaschutz, Soziales und Kultur weniger zu verteilen.
Desillusionierend, ernüchternd, aufrüttelnd und damit eine gute Einstimmung auf die kommende Rednerin am 19. Juni: die Klimaaktivistin Luisa Neubauer.