„Sommer in Sommerby“ im Schauspielhaus Düsseldorf Ein Meer der Farben und der Fantasie

Im Jungen Schauspielhaus erlebt die Adaption von Kirsten Boies Kinderroman „Sommer in Sommerby“ ihre Uraufführung. Regisseurin Juliane Kann macht aus dem eher schlichten Stoff ein überbordendes Theaterstück.

 Szene aus „Ein Sommer in Sommerby“ mit Natalie Hanslik, Meike Fuhrmeister (vorne, von links) und zahlreichen grünen Plastikröhren als vielfältig einsetzbare Bühnen-Ausstattung.

Szene aus „Ein Sommer in Sommerby“ mit Natalie Hanslik, Meike Fuhrmeister (vorne, von links) und zahlreichen grünen Plastikröhren als vielfältig einsetzbare Bühnen-Ausstattung.

Foto: David Baltzer

Ein komisches altmodisches Ding steht im Zentrum der Aufführung: ein Kassettenrekorder. Genauer: ein ITT Schaub Lorenz Full Auto Stop. Wenn man seine Tasten drückt, dreht sich innen ein Band, und Stimmen erklingen – nur die Älteren werden sich daran erinnern. Aber alle verstehen, sie müssen jetzt ganz leise sein und zuhören.

Denn Kirsten Boies Erfolgs-Kinderroman kommt hier nicht nur als Theaterstück auf die Bühne, sondern auch als Hörspiel. Das heißt aber nicht, dass die Akteure nichts zu tun haben. Ganz im Gegenteil: Die sieben Schauspieler sind ständig in Aktion. Mal sprechen sie den Text mit, mal spielen sie ihn, mal bebildern sie ihn, und am Anfang und am Ende sitzen sie einfach still da und lauschen – genau wie das Publikum.

„Ein Sommer in Sommerby“ erlebte nun seine Uraufführung am Jungen Schauspielhaus. Regisseurin Juliane Kann macht aus der eher schlichten Zurück-zur-Natur-Geschichte einen quietschbunten, sinnlichen und überbordenden Theaternachmittag. Die Kinder lauschen bei der Premiere gebannt, obwohl manches etwas überfrachtet wirkt, konfus, aktionistisch, komplex eher in der Form als in der Aussage, denn wirkliche Tiefe erlangt das Spiel nicht.

Kirsten Boie erzählt eine ganz simple Geschichte: Da sich ihre Mutter auf einer Dienstreise verletzte und der Vater zu ihr ins Krankenhaus nach Amerika muss, reisen die drei Kinder Martha (Marie Jensen), Mikkel (Ali Aykar) und Mats (Jonathan Gyles) zu ihrer ihnen bisher unbekannten Oma (Meike Fuhrmeister) aufs Land. Dort gibt es keinen Handyempfang, kein Internet, dafür aber Gänse, Kühe, Himbeeren und das Meer. „Diese Landluft stinkt nach Hühnerkacke“, stellt Martha dann auch fest. Die Eier müssen sich die Stadt-Kinder morgens erst suchen, denn eine Bio-Kiste wie zu Hause gibt es hier nicht.

So entdecken die Städter ganz analog jede Menge Neues. Da man die Natur schlecht auf der Bühne darstellen kann, haben sich die Regisseurin und ihr Team (Bühne und Kostüme: Marie Gimpel) allerhand ausgedacht, um die Fantasie anzuregen. Nur grob hangeln sie sich mit letztlich minimalen Dialogen an der Handlung entlang, setzen diese in Bewegung und Aktion um, so dass man fast eher von Tanztheater als von Schauspiel sprechen möchte.

Die agilen Darsteller sind ständig in Bewegung, vervielfachen die Aktionen, verteilen sie auf mehrere Akteure, zersplittern jede Handlung dank der futuristisch anmutenden Ganzkörper-Anzüge zu einem Kaleidoskop der Farben. Als von Gänsen erzählt wird, verwandeln sich alle Schauspieler in Federvieh und schnattern über die Bühne. Später steigen sie in imaginäre Boote und rudern mit den Armen in der Luft. Eine riesige Plastikfolie, die sie über ihren Köpfen halten und flattern lassen, wird zum tosenden Meer. So gelingen immer wieder faszinierende und poetische Bilder.

Auch wenn die Rollen den Schauspielern zugeschrieben werden, sind alle sieben ständig auf der Bühne und agieren im Geschehen mit. Eduard Lind gibt den Nachbarn Boysen, der gerne Tiere schnitzt, Natalie Hanslik tritt als fiese Maklerin auf, die der Oma den Bauernhof abluchsen will, um dort ein Einkaufszentrum zu bauen. Ron Iyamu führt als Nachbarsjunge Enes ein kleines Techtelmechtel mit Martha.

Die Bühne ist eher schlicht und wandelt sich durch zahlreiche Requisiten zu einer bunten Spielwiese. Hecken aus grünen, zusammengesteckten Plastikröhren sind zwar nicht sonderlich naturnah, lassen sich aber gut zu neuen Arrangements kombinieren und ergeben so, dank raffinierter Lichtregie, immer andere Szenerien des Landlebens.

„Zurück zur Natur“ ist eine Sehnsucht, die jedes Kind versteht. Die Trennung von Spiel und Text, Aktion und Sprache mit Dialogen, die vom Band kommen, ist da sicher schon komplexer nachzuvollziehen. Zumal sich auch den Erwachsenen längst nicht alles erschließt, etwa, wann die Figuren in Zeitlupe verfallen, wann sie Texte mitsprechen oder eben nicht, wann sie in ihrer Rolle agieren und wann nicht. Dieses fast schon überbordende Spektakel besitzt jedoch durchaus Witz und Charme, denen man sich nicht entziehen kann.

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