Düsseldorf Sir Norrington braucht keinen Taktstock

Düsseldorf · Zum Auftakt der Saison dirigierte der 81-jährige Brite in der Tonhalle ein fabelhaftes Konzert. Intendant Michael Becker verkündete bei dieser Gelegenheit gut gelaunt einen Zugewinn von sage und schreibe 1100 Abonnenten.

 Der Dirigigent Roger Norrington beim Symphoniekonzert in der Tonhalle.

Der Dirigigent Roger Norrington beim Symphoniekonzert in der Tonhalle.

Foto: Susanne Diesner

Von Sir Roger Norrington kann man die Kunst des Weglassens lernen. Ohne Taktstock thront er da auf seinem Hochsitz, entspannt wie zu einem Plauderstündchen, und beschränkt seine Zeichengebung auf wenige messerscharfe Impulse. Schweißtreibende Muskelarbeit ersetzt Norrington durch gezielte Blicke und buchstäbliche Zuwendung: Steht ein Oboen-Solo bevor, dreht er sich in Richtung Holzbläser, und über seine Miene huscht ein erwartungsvolles Lächeln, als wolle er sagen: "Ah, jetzt geht die Sonne auf!"

Seit geraumer Zeit dirigiert der 81-Jährige im Sitzen, aber seiner gespannten Präsenz tut das keinen Abbruch. Und seine kauzig heitere Art ist alles andere als ein Ausweis nachlassender Gedankenschärfe. Im Gegenteil: Noch immer ist Sir Roger Norrington unter den Originalklang-Verfechtern der radikalste. Seine Forderung nach dem "pure sound", dem reinen, schlackenlosen Ton, ist ungebrochen und verlangt von den Streichern konsequentes Non-vibrato-Spiel.

Das Ergebnis dieser Norringtonschen Entschlackungskur ist immer wieder verblüffend und für manchen bislang originalklangresistenten Konzertbesucher gewöhnungsbedürftig. Bereits Schuberts Ouvertüre zu "Die Zauberharfe" klingt wundersam hell, leicht und von scheuer Zartheit. Und die Vorzüge des vibratolosen Spiels treten klar zutage: Wenn Haltetöne eben nicht pulsierend schwingen, sondern liegen bleiben, tritt plötzlich die musikalische Architektur klar zutage.

Erst recht gilt das für Mozarts G-Dur-Violinkonzert, in dem die Orchesteraufstellung im kammermusikalischen Kreis mit stehenden Holzbläsern eine dichte und lebendige Kommunikation ermöglicht und Norrington nur noch verzückt zuzuhören scheint. Zumal die Düsseldorfer Symphoniker den abgespeckten Klang so authentisch produzieren, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, und ihr blutjunger Konzertmeister Dragos Manza den Solopart mit solch souveräner Delikatesse spielt, dass man schon fürchten muss, er könnte den Düsseldorfern nicht lange erhalten bleiben. Manzas Ton ist edel timbriert, klingt auch mit sparsamem Bogendruck und ohne Vibrato alles andere als verhungert oder gar spitz, sondern rund, perfekt kontrolliert und makellos intoniert. Norrington lauscht ihm beinahe andächtig und löst die Spannung nach dem fulminanten ersten Satz, indem er auffordernd ins Publikum lugt und einen spontanen Zwischenapplaus provoziert.

Nach der Pause folgt Mendelssohn Bartholdys selten gespielte erste Symphonie in c-moll. Auch hier wirkt die Diät Wunder: Norrington begreift Mendelssohn nicht als Vordenker Brahms' , sondern als Nachfolger Mozarts. Es klingt nach Sturm und Drang, hat revolutionären Biss und spritzige Eleganz. Die neue Kräfteverteilung zwischen Bläsern und Streichern sorgt erneut für überraschende Erkenntnisse und eine nie erlebte Kommunikationsfreude im Orchester.

Ein fabelhaftes Konzert, zu dem die ausnehmend guten Nachrichten passen, die Intendant Michael Becker verkündete. Dass es nämlich gelungen sei, 1100 neue Abonnenten zu gewinnen. Das ist in diesen Zeiten eine kleine Sensation und - neben dem offenbar steigenden Ansehen der "Sternzeichen"-Konzerte - vor allem dem Angebot zweier neuer Abo-Formate zu verdanken. Man kann jetzt nämlich außer dem Komplett-Abonnement mit zwölf Konzerten auch Abos für sieben oder fünf Konzerte abschließen. Das trifft den Nerv des mobilen Publikums. Das sich dann aber besser wieder abgewöhnt, nach jedem Satz zu applaudieren.

(RP)
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