Düsseldorf Schöne neue Welt der Selfies
Düsseldorf · Mit "Ego update" läuft im NRW-Forum Düsseldorf der Kunstbetrieb wieder an. Verhandelt wird die Zukunft der digitalen Identität.
Wir leben in einer sprachlosen Zeit, senden uns kurze Kurznachrichten, am liebsten aber Bildbotschaften vom aktuellen Befinden. "Hier bin ich, und es geht mir gut!" bedeutet das Grinsen vor dem Sonnenuntergang am Rhein. Ganz anders: "OP geglückt" sagt das Selfie vom verbundenen Leib, der an 20 Strippen hängt. Babys erblicken heute knapp das Licht der Welt, bevor sie - nein, sie können noch kein Foto machen - schon auf Sendung sind. Das Sendungsbewusstsein dieser Generation ist immens. 25 Millionen Deutsche machen Bilder von sich mit ausgestrecktem Arm, die man "Selfies" nennt. Düsseldorf gilt als Hochburg dieser Bewegung, welche die einen hassen und die anderen schon jetzt für museumsreif halten.
"Ego update" heißt die erste dieser nicht unter Kunstzensur stehenden Selbstbildchen gewidmeten Ausstellung. Sie trifft ins Herz unserer Zeit, die von der digitalen Revolution so stark geprägt ist, dass Menschen ohne Internet und Smartphone heute wie Outsider scheinen, da sie in einem anderen Sinnzusammenhang leben als der Homo digitalis. "Ego update" meint das Ich (Ego) und eine Aktualisierung von mir (update), übersetzt: "Ich fotografiere, ich dokumentiere - also bin ich." Alain Bieber hat 23 Akteure zusammengerufen und breitet unterschiedliche Herangehensweisen dieses Mediums im neu eröffneten NRW-Forum Düsseldorf aus.
Nun begeht man also das einst so glamourös strahlende, mit Stars auftrumpfende NRW-Forum, um "Selfies zu gucken", Abzüge von digitalen Schnappschüssen voller Ichbezogenheit. Von irgendwem, der nur Insidern bekannt ist, einer fragwürdigen Berühmtheit. Zum Drucken werden Selfies nicht gemacht, auch nicht zum Bewahren, sondern für die schnelle Post. Klar, dass solche Prints keine Tiefe haben, unscharf sind, lustig, intim oder ärgerlich, manchmal bis zur Unleserlichkeit hochgepixelt. Der erste Blick in die großen Hallen könnte enttäuschend sein. Man schaut kurz drauf und durchschaut das Anliegen: Hier ist einer einfach sein bester privater Paparazzo und mutet sich mir zu.
Besser, man schaut mit soziologischem Interesse auf das Potpourri persönlicher Befindlichkeit, die Wünsche, Träume und Störungen im Alltag entblößt. Selfies haben Suchtpotential, das nur der Tod einschränken kann. Alles dürfte wohl schon als Selfie in der Welt sein bis auf den letzten Augenblick des Lebens. Es gibt Kulturkritiker, die befürchten, dass die Selfie-Explosion unserer Zeit Beweis für ein narzisstisches Zeitalter ist. Andere halten dagegen, es gehe nicht um Narzissmus, sondern darum, sein eigener digitaler Avatar zu sein. Tatsächlich, das sagt Bieber, sind Selfies ein Phänomen der Jetztzeit, in Zukunft würden wir uns mit Cyber-Identitäten beschäftigen, mit dem Kreieren einer eigenen künstlichen Persönlichkeit.
In den beiden großen Ausstellungshallen des NRW-Forums gibt es so viele Selfies an den Wänden, auf dem Boden, auf einer begehbaren Rampe, dass einem fast schwindlig wird. Und jede Einheit erzählt ihre Geschichten: Gefakte Prominente in unliebsamen Posen gibt es, Angela Merkel liegt im Arm von Francois Hollande, oder die Queen sitzt auf dem Klo. Tausende Füße von Fuß-Fotografierern wurden aneinandergereiht, auch Gähnende aus aller Welt. Die Stars der Instagram-Plattform verewigen sich wie die Voyeure des Internets, die das Streaming eines Unbekannten abgreifen und einfach ausdrucken.
Es lebe die schöne neue gefährlich-entblößte Welt. Man sollte einmal in sie eintauchen, staunen oder sich angewidert abwenden. Alles ist denkbar. In Tausenden von Jahren könnten unsere Nachfahren ein pralles Sittengemälde der 2015er Jahre aus diesen sich zu Mosaiken fügenden Ich-Botschaften lesen.