Serie „Vergessene Dinge“ Zwischen Revolution und Tinnitus

Düsseldorf · Robert Schumanns späte Düsseldorfer Chorballaden fristen ein Schattendasein. Dabei handelt es sich um ausdrucksvolle und hintersinnige Kompositionen.

 Das ehemalige Haus in der Bilker Straße 15 von Clara und Robert Schumann.  Foto: dpa

Das ehemalige Haus in der Bilker Straße 15 von Clara und Robert Schumann. Foto: dpa

Foto: dpa/Marcel Kusch

Von Wolfgang Amadeus Mozart gibt es nichts, das nicht regelmäßig aufgeführt wird. Alles von hohen Graden und Gnaden, jedes Stück ein Meisterwerk, selbst Kleinigkeiten wie die Chor-Kanons schwirren um die Welt und ergötzen Mensch und Ohr.

Bei Robert Schumann ist das etwas anders. Das Frühwerk für Klavier mit hinreißenden Zyklen wie „Carnaval“, „Kreisleriana“ oder den Fantasiestücken ist in zahllosen Klavierabenden präsent, ebenso die wunderbaren Liederzyklen wie die „Dichterliebe“, von den vier Symphonien ganz zu schweigen. Bei anderen Werkgruppen ist die Lage eher unübersichtlich, um es vorsichtig zu formulieren. Und schauen wir auf Schumanns Düsseldorfer Kompositionen, herrschen doch recht komplexe Schwierigkeiten. Da gibt es doch einige flaue Momente. War Schumann in Düsseldorf weniger inspiriert?

Sicher ist, dass Schumann sich am Rhein mühte und nicht immer die Erhörung fand, die er sich gewünscht hat. Andererseits wird gerade Schumanns Spätwerk seit einiger sozusagen inbrünstig wiederentdeckt, und tatsächlich ändern sich auch die Wertungskriterien. Was vor Jahren noch als mau, langweilig, eher konventionell getadelt wurde, gilt jetzt als geheimnisvoll, poetisch, hintersinnig.

Ob das auch für die Chorballaden gilt, deren Partituren zweifellos zu den vergessenen Dingen zu zählen sind? Sie alle tragen hohe Opus-Zahlen, die meisten um 140 herum. Ihre Titel dürften den meisten Musikfreunden wenig bis nichts sagen: „Der Königssohn“, „Vom Pagen und der Königstochter“, „Das Glück von Edenhall“ und „Des Sängers Fluch“. Sie gehen zurück auf Balladentexte von Ludwig Uhland und Emanuel Geibel.

Möchte man sie hören, wird man in den Datenbanken der Tonträger-Industrie immer wieder auf Düsseldorf zurückverwiesen, denn der Städtische Musikverein und die Düsseldorfer Symphoniker haben diese vier Balladen unter den Dirigenten Bernhard Klee und Heinz Wallberg in den 1980er Jahren prachtvoll aufgenommen, wobei die Einspielungen von großartigen Solisten gesäumt sind: Doris Soffel, Josef Protschka, Walter Berry, Peter Meven, Ilse Gramatzki, Edda Moser. Also erste Sahne.

Schumann ging es in jener Zeit – also um das Jahr 1852 herum – gesundheitlich nicht sehr gut, er war, wie er selbst schrieb, von „Krampfanfällen“ und „Nervenleiden“ gepeinigt. Er litt ja unter Bluthochdruck, unter einem seltsamen Tinnitus und vermutlich auch schon an den Ausprägungen einer Neurosyphilis, die ihm schwer zu schaffen machten und die dann Jahre später zu seiner Einweisung in die Endenicher Anstalt führten. Gleichwohl spiegelt sich auch in seiner Musik der Hintergrund der Märzrevolution von 1848 und der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Stellvertretend für viele andere Tendenzen heißt es ja bei Geibel (den Schumann vertonte): „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.“

Schumann ging es um eine gleichsam imaginäre „Bühnenwirksamkeit“; für sie griff er auch in die Texte ein. Zwar hört man hier und dort „eine gewisse Ermattung“, wie Joseph Joachim einräumte, doch eine Wiederbegegnung lohnen die Werke unbedingt.

Jene Aufnahmen stehen alle online bei Youtube zur Verfügung. Bitte mal reinhören! Es gibt sie bei guter Recherche noch als CDs; damals wurden sie für die EMI produziert. Vergessen sollte diese schwungvoll-ausdruckstiefen Werke keiner. Und wer diesen späten Schumann partout nicht mag: Die Einspielungen sind unvermindert herrlich.

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