Premiere in Düsseldorf Tiraden gegen den Hass in der Welt

Düsseldorf · Liesbeth Coltof inszenierte „Antigone“ von Sophokles mit Raptexten von Aylin Celik und Ugur Kepenek im Jungen Schauspiel.

 Szene aus „Antigone“ im Jungen Schauspiel mit Selin Dörtkardes, Noëmi Krausz und Aylin Celik (v. l.).   Foto: David Baltzer

Szene aus „Antigone“ im Jungen Schauspiel mit Selin Dörtkardes, Noëmi Krausz und Aylin Celik (v. l.). Foto: David Baltzer

Foto: David Baltzer

Am Ende fehlt eine Tote. Nicht, dass man dies bedauern wollte. Denn in der „Antigone“ von Sophokles sterben ohnehin zwei Königskinder, die Protagonistin und Haimon, der sie so sehr liebte. Macht sogar vier, wenn man die „Vor-Toten“ Eteokles und Polyneikes hinzunimmt. In der Inszenierung von Liesbeth Coltof aber, die jetzt am Jungen Schauspiel eine umjubelte Premiere feierte, fehlt die Selbsttötung der Königin Eurydike. Coltof hat aus dem König Kreon eine Frau gemacht, „die gute Kreon“, wie der Chor betont, und damit den Tod einer Königin ausgespart.

Im Übrigen aber wird auf der Bühne an der Münsterstraße die ganze Tragödie in eine unglaublich mitreißende Form gegossen. Sogar für die Vorgeschichte des unglücklichen Königshauses von Theben hat sich Coltof in den anderthalb Stunden des Abends die Zeit genommen: Ödipus, der seinen Vater tötet, seine Mutter heiratet, mit ihr Kinder zeugt und sich dann mit Blendung bestraft.

„Geschichte, unfertig ist sie in jedem Augenblick“, singt der Chor, bestehend aus den beiden Rappern Aylin Celik und Ugur Kepenek. Sie haben sich an die Übersetzung der Tragödie durch Friedrich Hölderlin getraut, sie eingebaut in ihre Rhythmen und ergänzt durch das, was sich aus den Proben ergab. Wie etwa: „Tanzen ist besser als Töten“. Zusammen mit dem hervorragend agierenden Jonathan Gyles in der Rolle des Wächters, des Boten und des blinden Sehers Teiresias führen sie durch die Spielhandlung.

Die Bühne (Guus van Geffen) ist ein großer Laufsteg mit einem steilen Pfad durch die Reihen des Publikums und dort zu einem Podium, wo sich Natalie Hanslik als Königin Kreon ihrem Volk zeigt: „Sie ist die Beste, Kreon ist Queen“, skandiert der Rapper-Chor. Dann steigt sie hinab, denn man hat ihr eine staatsfeindliche Schandtat gemeldet. Als Wächter des toten Polyneikes, den man nicht bestatten darf, macht Jonathan Gyles eine wunderbare Nummer aus seiner Schlafmützigeit. Er wird ja wohl geschlafen haben, als man den toten Körper in der Nacht mit Erde bedeckte. Und jetzt fürchtet er sich vor Bestrafung.

Doch dann kann er die Schuldige präsentieren: Antigone. Selin Dörtkades in der Titelrolle steht von Beginn an unter Hochspannung. Das Menschenrecht, ein großes Wort, ist ganz ihr Ding. Die Leiche ihres Bruders dem Vogelfraß preiszugeben, nur weil die Königin es will, das geht gar nicht. „Nicht hassen, zu lieben bin ich da“ betont sie immer wieder, um dem Bekenntnis gleich eine lange Tirade gegen allen Hass in der Welt folgen zu lassen.

In ihrer Selbstgewissheit, ihrer Unbedingtheit, ihrer Ablehnung jeglichen Kompromisses steht Dörtkades wie ein Fels in der Brandung gegen die Staatsräson – nicht unähnlich der Klimaaktivistin Greta Thunberg. Den Bezug zu deren Herkunftsland stellt überraschend Noëmi Krausz her, wenn sie als Antigones Schwester Ismene mit dem Song der Schwedin Emilia Mitiku Zuschauerpunkte sammelt: „I’m a big big girl in a big big world.“

Antigones Absolutheit ist aber auch nicht unähnlich der Arroganz, mit der Natalie Hanslik ihre Kreon-Rolle füllt. Die Auseinandersetzung der beiden Frauen bildet natürlich den Höhepunkt des Abends. Hier erlebt man jugendliche Todessehnsucht gegen abgefeimte Realpolitik.

Dann ist da auch noch Haimon, Kreons unglücklich in Antigone verliebter Sohn. Für seinen Versuch, die Mutter in der „Causa Antigone“ umzustimmen, besteigt der junge Darsteller Eduard Lind das Podium und hofft, auf diese Weise das Publikum zum Komplizen seiner Sache zu machen. Natürlich vergebens. Erst der blinde Seher Teiresias bringt am Ende die bluttriefende Welt wieder in eine neue Ordnung. „Warum gibt es keinen Reim auf Mensch?“ fragen die Rapper immer wieder. Bei Hölderlin gibt es diesen Reim, er klingt nur anders: „Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch“.

Hierzu passt Ismenes Düsseldorfer Schlusswort: „Wohin führt Macht? Direkt unter die Erde.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Alles Theater
Was es am Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen gibt Alles Theater
Zum Thema
Aus dem Ressort