Düsseldorf Ohren öffnen und führen lassen

Düsseldorf · Bei der Klangskulptur "KOMM" im KIT nimmt der Besucher eine aktive Rolle ein. Er muss sich das Kunstwerk selbst erschließen.

 Das Hören ist ein Teil der Kunst. Wenn aus den Lautsprechern 35 Minuten lang das Klangmaterial schallt, wird der Raum völlig abgedunkelt.

Das Hören ist ein Teil der Kunst. Wenn aus den Lautsprechern 35 Minuten lang das Klangmaterial schallt, wird der Raum völlig abgedunkelt.

Foto: Ivo Faber

Selektives Hören heißt, die Worte eines ausgewählten Sprechers wahrzunehmen und alle anderen umgebenden Geräusche zu unterdrücken. Es gehört zu den Grundfähigkeiten des Menschen. Doch bei "KOMM", einer Klangskulptur, die seit gestern im "KIT - Kunst im Tunnel" installiert ist, geht dem Besucher diese Fähigkeit an einigen Stellen verloren. Stimmen und Klänge fließen ineinander, überlagern sich und sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden.

Das beeindruckende, über eineinhalb Jahre entwickelte Projekt hat Daniele Buetti mit seinen Studenten an der Kunstakademie Münster realisiert. "Die visuelle Welt, wie sie bei uns vorherrschend ist, rückt bei diesem Werk in den Hintergrund", sagt Gertrud Peters, künstlerische Leiterin des KIT. "Nur das Hören ist gefragt." Um die Konzentration voll und ganz darauf zu lenken, sind die unterirdischen Gänge komplett abgedunkelt. Tageslicht gibt es keines, lediglich künstliche Lichtspots helfen bei der Orientierung durch den Raum.

Außer 46 Lautsprechern und einigen Kissen am Boden bleibt alles leer. Die Aufgabe des Besuchers ist, durch den Raum zu gehen und die akustischen Elemente auf sich wirken zu lassen. 25 Minuten lang wechseln sich Stimmen, Gesänge, Töne und viele weitere Klangelemente ab, und immer wieder beginnt das Tonband von vorne. Die Wirkung der jeweiligen Aufnahmen variiert von meditativ über fordernd, bedrängend und verwirrend - der Zuhörer wird Teil des Werks.

"Komm, komm hier rüber, langsam, komm näher, komm noch näher, komm ganz dicht", hallt es durch die dunklen, unheimlich erscheinenden Gänge und man kann nicht anders, als der Stimme zu folgen. "Mache deinen Rücken gerade, und hebe deinen Blick. Spüre den Raum", spricht die tiefe Männerstimme weiter. Ähnlich wie in der Meditation wird eine Stille und Leere im Kopf erzeugt, die durch ein minutenlanges Ausbreiten der Sanskritsilbe "Om" verstärkt wird. Doch der träumerische Klang findet an einer Stelle ein jähes Ende, wo er von einem unerwarteten Gespräch zwischen zwei Prostituierten und einem Freier unterbrochen wird. Es ertönt ein Originaldialog, der versteckt aufgenommen wurde. "Willst du Spaß?" fragt eine Frauenstimme mit Akzent. "Eine ficken, eine blasen? Eine kostet 30. Ich bin jetzt schon geil." Aufrund der Echtheit des Dialogs ekeln die Worte.

Nach dem 40-sekündigen Gespräch dröhnt ein Pfeifton durch den Raum. Immer wieder hört man ein Mädchen in einer Ecke weinen, dazu ertönen wie aus dem Nichts Aufforderungen: "Suche", "finde", "stell dich heraus." Für Besucher ist es unmöglich, alle Elemente der Klangskulptur bei nur einem Hören zu erfassen. "Man muss sich Zeit nehmen", sagt Buetti. "Das Stück ist immer wieder unterschiedlich erfahrbar." Es gibt weder Anfang noch Ende, der Besucher entscheidet, wann er ein- oder aussteigt.

(RP)
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