Neue Kunstausstellung Seltsame Wohnzimmer in der Kunsthalle

Zehn Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendiaten zeigen, was sie in zwei Jahren erschaffen haben.

 Fabian Treiber neben seinen Interieurs im Emporensaal der Düsseldorfer Kunsthalle.

Fabian Treiber neben seinen Interieurs im Emporensaal der Düsseldorfer Kunsthalle.

Foto: Anne Orthen (orth)

Als Karl Schmidt-Rottluff vor mehr als 40 Jahren sein Vermögen in eine Förderstiftung einbrachte, konnte er die Wirkung seiner Tat nur erahnen. Denn er starb bereits 1976, ein Jahr bevor sich der erste Jahrgang an die Arbeit machte. Könnte Schmidt-Rottluff heute erleben, was die zehn Künstlerinnen und Künstler der beiden jüngsten Jahrgänge dank einer monatlichen Unterstützung von 1200 Euro hervorgebracht haben, würde er sich vermutlich die Augen reiben: Videokunst und Installationen, Dokumentierendes und Philosophisches, aber auch Fortentwicklungen der guten alten Malerei, der sich der große Expressionist vor allem verschrieben hatte.

In mittlerweile 30-jähriger Tradition hat die Düsseldorfer Kunsthalle nun wieder eine Ausstellung arrangiert, die vorführt, was geförderte Künstler unter 35 Jahren bewegt. Fabian Treiber aus Stuttgart kommt mit seiner Arbeit dem Geld- und Namensgeber des inzwischen mit der Studienstiftung des deutschen Volkes kooperierenden Stipendiums am nächsten. Im Emporensaal der Kunsthalle zeigt er drei großformatige, rätselhafte Interieurs in gedämpfter Buntheit: Wohnzimmer, in denen sich allerlei Gefäße befinden und vor denen das Auge erst Ruhe findet, wenn es durch das gemalte Fenster im Hintergrund zu blicken glaubt. Menschenleer sind diese Räume, doch lassen sie wie jedes Interieur an den Menschen denken, der darin wohnt.

Treiber findet seine Bilder selbst „seltsam“, und „seltsam ist für mich gut“. Er will damit Gefühle transportieren und zugleich seine Suche nach der Funktionsweise von Wahrnehmung ausdrücken. Spätestens seit Gerhard Richter wird die Malerei den Malern zum Problem, während zugleich Schönheit als Wert wieder gewinnt. Ja, Treibers Bilder sind auch in ihrem Spiel der Farben seltsam schön.

Blickt man von der Empore in den sogenannten Kinosaal der Kunsthalle, steht man erneut vor einem Rätsel. Der aus Oberndorf am Neckar stammende Raphael Sbrzesny, der 2018 mit damals 32 Jahren an der Hochschule für Künste in Bremen eine Professur zwischen den Fachbereichen Musik, Kunst und Design antrat, hat zwei blaue Bühnen errichtet, eine Drehbühne und eine stationäre an der Wand. Darauf präsentiert er stählerne Korsette und Marschtrommelhalterungen, wie er sie in seinen Performances benutzt. König oder Glockenspielmann sind auf Bildern zu entdecken. Kunst-, Theater- und Musikgeschichte kreuzen sich bei Sbrzesny mit eigenen Erlebnissen.

An der hohen Wand gegenüber durfte sich die Französin Charlotte Dualé ausbreiten. Ihre länglichen, dünnen Objekte aus Ton wirken wie Wörter einer unbekannten Sprache in Schönschrift. Dahinter steckt Kritik an einer frauenfeindlichen Sprache, aber auch Sprachphilosophie allgemein: Wie kann man schreiben, was man nicht ausdrücken kann? Gibt es ein Mensch-Sein ohne Sprache? Und wenn die Sprache sich von ihrem Inhalt befreit, was bleibt dann übrig?

Leichter zugänglich ist die dokumentarische Kunst im Seitenlichtsaal. Dort hat die aus Zwickau stammende Henrike Naumann ein Wohnzimmer aus schwarzen und grauen Möbeln eingerichtet, die einst in der Hannoveraner Expo 2000 ihren Platz hatten, an der Stirnseite ein „Traueraltar Deutsche Einheit“. Darauf und an den Wänden befinden sich Gemälde von Naumanns Großvater Karl Heinz Jakob, einem Künstler der DDR. War sein Bild „Die Konzerteinführung“, das einen Cellisten vor Zuhörern zeigt, tatsächlich Sowjetpropaganda, wie es in einer westdeutschen Publikation hieß? Die Enkelin nutzt die Bilder ihres Großvaters dazu, „über den Platz der DDR-Kunst in der gesamtdeutschen Kunstgeschichte nachzudenken, sowie auch über meine Rolle in der Gesellschaft, in der ich lebe“.

In der anderen Hälfte des Seitenlichtsaals konfrontiert der in Köln lebende Fotograf Arne Schmitt die Besucher einerseits mit dem Material Basalt, andererseits mit der Historie von Ludwigshafen und Mannheim. Schmitt stammt aus der Eifel. Daher lag es nahe, der Geschichte und der Verwendung des Vulkangesteins Basalt nachzugehen. Mit der Kamera streifte er durch 2000 Jahre alte Steinbrüche, ebenso durch Ortschaften, in denen aus Basalt Kriegerdenkmäler oder Firmenschilder geformt wurden. So erzählt ein Gestein von der Mentalität einer Region, von blinder Geschichte und vom Versuch des Menschen, darin Gestalt zu gewinnen. Schmitts zweite Arbeit in der Kunsthalle ist eine schwarz-weiß fotografierte Verbindung der Städte Ludwigshafen und Mannheim. Das heute in Teilen ärmlich wirkende Ludwigshafen gilt ihm mit einem Wort des Philosophen Ernst Bloch als „Hohlraum des Kapitalismus“, Mannheim mit seiner Tradition als Residenzstadt scheint ihm mit Ludwigshafen zu verschmelzen.

Am ersten Objekt der Ausstellung läuft man leicht vorbei. Gleich hinter der Eingangstür hat sich die Italienerin Serena Ferrario mit einer Installation eingenistet. Vor schwarz-weiß flimmernden Urlaubsszenen neben einem Holzverschlag laden Sonnenschirm, Liegestuhl und zwei Klappstühle die Besucher ein, sich niederzulassen und darüber nachzudenken, was die Künstlerin im Schilde führt. Sie will ihren inneren Konflikt ausdrücken, der aus der Internationalität ihrer Familie rührt: Die Mutter stammt aus Rumänien, der Vater aus Italien. So haben die Themen unserer Tage auch diese Ausstellung noch erreicht: Herkunft und Migration.

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