Museumsnacht in der Wohlfühlstadt

Bei sommerlichen Temperaturen feierten rund 23 000 Kunstbegeisterte in Düsseldorf die "Nacht der Museen". Vor dem NRW-Forum am Ehrenhof konnte man auf Liegestühlen verschnaufen. In der Altstadt verbreitete eine kostümierte Trommelgruppe einen Hauch von Südamerika.

Eine Vielzahl von Führungen sollte in diesem Jahr den Zugang zur Kunst erleichtern. Wissbegierige Besuchergruppen ließen sich schon am frühen Abend durch den Düsseldorfer Medienhafen treiben und erfuhren, wer die Skulptur von Hans Albers dort aufgestellt hat (sie stammt von Jörg Immendorff). Die Kunstsammlung NRW lockte sogar mit einem "Speed dating" zum "Flirt mit der Kunst". Alle 15 Minuten startete eine Gruppe in Richtung Picasso, Matisse oder hin zur aktuellen Fotoausstellung mit den Arbeiten von Thomas Struth. Die Regenwaldfotografien des Becher-Schülers seien "Sehnsuchtsbilder", erklärte die charmante Speed-dating-Kunsthistorikerin.

Was geschieht, wenn der Mensch sich die Natur allzu sehr untertan macht, das dokumentierten dann die Struth-Fotos auf der gegenüberliegenden Wand: Dort ist die Vegetation ausgelöscht. Schmucklose Zweckbauten wecken allenfalls die Sehnsucht, möglichst schnell an einem anderen Ort zu sein.

Also rasch hinüber zur Kunsthalle. Dort sorgen zwei DJs mit harten Klängen aus den 80ern für Partystimmung. Die Kriwet-Schau ist gut besucht — aber überfüllt sind hier vor allem die Wände. An die guten alten Cream-Cheese-Zeiten erinnern die lückenlos mit Schriftzeichen tätowierten Ausstellungsflächen. Buchstaben mutieren zu Skulpturen, Reliefs, Ornamenten. Grafik wird Kunst, Kunst wird Grafik. Und die Besucher flanieren über einen mit Schrift beklebten Fußboden: "Walk Talk Walk Talk" steht da geschrieben, und so ist es dann auch: Man läuft und redet, guckt und staunt.

Wie lässt sich auf solche Überfülle reagieren? Womöglich mit einem Raum der Leere. Und tatsächlich stellt der im selben Haus residierende Kunstverein das Gleichgewicht mit den fast unsichtbaren Arbeiten des polnischen Künstlers Michal Budny wieder her.

Vom Fenster der Kunsthalle hat man einen schönen Blick auf den Grabbeplatz. Eine Bratwurstbude hat den Platz des VIP-Festzelts eingenommen, das früher dort stand. Den Kalauer mit den "fetten Jahren" verkneifen wir uns.

Schnell weiter zum NRW-Forum im Ehrenhof. Vor den Jetset-Fotografien der "Reichen und Schönen" drängen sich die Besucher. Birgit aus Essen lässt sich vor dem Großfoto von Yves Saint Laurent knipsen. Früher haben wir über die Japaner gelächelt, die sich vor jeder Sehenswürdigkeit ins Bild stellten und ablichten ließen. Heutzutage macht das jeder. Quasi zum Existenznachweis: Wir waren da, wir waren dabei. Und entdeckten mancherlei Seltsamkeiten.

"Deutsche Führung" liest man beispielsweise über dem Damen-WC im NRW-Forum. Wird hier etwa die Vormachtstellung deutscher Kunst beschworen? Falsch. An dieser Stelle ist nur der Treffpunkt für all jene, die an einer deutschsprachigen Führung durch die Ausstellung teilnehmen möchten.

Auch ohne Führung fühlt sich das junge Publikum von den Glamour-Fotos aus den 60er und 70er Jahren angezogen. Fast andächtig werden diese Bilder betrachtet, aufgesogen. Die meisten der Besucher waren damals ja nicht einmal geboren. Eine neue Zeit schien da angebrochen. Neue Typen, revolutionäre Ideen, neue Moden, neue Frisuren erschienen auf den Straßen und auf den Titeln der Illustrierten. Die Beatles, Twiggy, Romy Schneider.

Schnee von gestern? Bestimmt nicht. Denn im selben Augenblick fällt einem die Pony-Helm-Frisur einer jungen Besucherin auf, die sich gerade ein Bild von Francoise Hardy aus den 60ern anschaut. Die beiden könnten Schwestern sein: haargenau der gleiche Look.

Ruhiger geht es im Museum Kunstpalast zu. Aber sogar die spröden Jugendstil-Werke von Johan Thorn Prikker finden ihr Publikum. Andächtige Betrachtung auch dort. Draußen vor der Tür nimmt die Lautstärke dann wieder zu. In der Andreasstraße treffen wir auf eine kostümierte Trommelgruppe, welche die Altstadt mit südamerikanischen Rhythmen auf Trab bringt.

In dieser Nacht ist Düsseldorf eine Wohlfühlstadt und liegt scheinbar irgendwo in Brasilien.

(RP/rai)
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