Düsseldorf Michael Ende verzaubert Heine-Institut

Düsseldorf · "Die Wiederverzauberung der Welt" heißt die neue Schau über Leben und Werk des Bestsellerautors, die am Sonntag im Heine-Institut eröffnet wird. Ausgestellt sind auch viele Puppen des benachbarten Marionettentheaters.

 Das Marionettentheater hat die Kulisse von Lummerland mit Lukas, dem Lokomotivführer, beigesteuert.

Das Marionettentheater hat die Kulisse von Lummerland mit Lukas, dem Lokomotivführer, beigesteuert.

Foto: endermann

"Der Speicher war groß und dämmerdunkel." Dass wir diesen ersten Satz einer berühmten Geschichte nicht kennen, liegt nicht am Buch. Das ist nämlich mit fast 40 Millionen verkauften Exemplaren ein Weltbestseller geworden. Der Satz ist deshalb unbekannt geblieben, weil er vom Autor Michael Ende (1929—1995) als Auftakt für "Die unendliche Geschichte" verworfen und darum nie gedruckt wurde. Vernichtet aber wurden die Fehlversuche glücklicherweise nicht, und so dürfen wir im Heinrich-Heine-Institut jetzt zur neuen Michael-Ende-Ausstellung auch die bislang unbekannten Typoskriptseiten betrachten. Die sind als Leihgabe aus dem Deutschen Literaturarchiv von Marbach nach Düsseldorf gekommen.

Die Schau ist etwas Besonderes geworden: nämlich eine Literaturausstellung ohne allzu viele Worte. Und das ist vor allem dem Nachbarn des Instituts an der Bilker Straße zu verdanken, dem umtriebigen Marionettenspieler Anton Bachleitner. Denn viele seiner Marionetten, die ihre Auftritte in den Bühnen-Adaptionen der Werke von Michael Ende hatten, stehen nun bei Heine. Die grauen Männer aus "Momo" rauchen die Zeit weg, von der aktuellen Inszenierung der unendlichen Geschichte wird zumindest ein Bühnenentwurf präsentiert, und auch der fürs Düsseldorfer Publikum offenbar unverwüstliche "Satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch" ist mit seinen Helden vertreten. Nach über 1000 Aufführungen trägt die Geldhexe Tyrannja Vamperl allerdings schon ihr drittes Kostüm.

Optischer Höhepunkt der Schau aber ist die Original-Lummerland-Kulisse zu "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer". Und alle sind hierbei vertreten, die in unserer Fantasie seit Kindertagen Rang und Namen haben: die zwei Berge und das Schloss, Frau Waas und Herr Ärmel, König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, Jim Knopf, die Lokomotive Emma sowie Lukas, der Lokomotivführer.

Eine Wunderwelt, die aus nächster Nähe jetzt zu bestaunen ist. Plötzlich verwandelt sich Literatur und nimmt Gestalt an, aber viel zauberhafter als in den Verfilmungen, die Ende gar nicht schätzte. Dass die Gefahr, die Fantasie mit der Wirklichkeit kaputt zu machen, bei Marionetten gering ist, wusste Ende und hat auch deshalb viele seiner Geschichten den Düsseldorfern anvertraut.

Die von Sabine Brenner-Wilczek und Christin Günther kuratierte Schau ist ein anregender Zweikampf zwischen Texttafeln und Puppen geworden — an dem Michael Ende seine helle Freude gehabt hätte. Und es lohnt sich, seinen Blick auch einmal von Lukas und Co. abzuwenden. Denn nur so erfährt man auch etwas über den Vater des Autors, den surrealistischen Maler Edgar Ende. Auf seinen Bildern ist auch eine Schildkröte zu sehen, das spätere Wappentier von Michael Ende. Sie lächelt immer, hat er einst über das urzeitlich anmutende Reptil gesagt. Außerdem sei es einfach nur da, ohne Sinn und Zweck, sei genügsam und ohne Feinde. Zudem habe es die Schildkröte schon gegeben, als nach Endes Worten der Mensch noch in Abrahams Wurstkessel schwamm. Die Schildkröte hat keine Eile und vielleicht nicht einmal ein Verständnis von Zeit. Alles Attribute also, die wunderbar zur Poetik von Ende passen. In der Figur der Kassiopeia bekommt sie dann ihre großen Auftritte auch in seiner Literatur.

Die Welt des Michael Ende lässt sich natürlich nicht ausstellen. Aber die Schlaglichter, die im Heine-Institut auf Werk und Leben geworfen werden, sind grell genug, um eine Ahnung von der Kraft des Phantastischen und unmöglich Möglichen zu bekommen.

Erfolgreich darf die Schau dann genannt werden, wenn der Besucher auch später eine Frage nicht mehr aus seinem Kopf verbannen kann. Sie ist die siebte aus dem Katalog mit 99 Fragen, die Michael Ende an seine Leser gerichtet hat und die auf einem Plakat quasi als Manifest gedruckt ist: "Glauben Sie, dass es Tatsachen gibt?"

(RP)
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