Ausstellung im K20 Souveränität in tiefsten Farbtönen

Düsseldorf · Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen porträtiert die aus Ghana stammende Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye in der Ausstellung „Fliegen im Verbund mit der Nacht".

 Lynette Yiadom-Boakye, „A Passion Like No Other" (2012) aus der Sammlung Lonti Ebers.

Lynette Yiadom-Boakye, „A Passion Like No Other" (2012) aus der Sammlung Lonti Ebers.

Foto: K20/Courtesy Lynette Yiadom-Boakye

Ganz in Ruhe Miles Davis‘ gestopfter Trompete in „What I say“ lauschen, dabei in James Baldwins „The Fire Next Time“ schmökern und dann in die Kunstsammlung laufen. Solche Einstimmung funktioniert garantiert. Alles ist auch dort, in der Henkel-Galerie, so schwarz wie nie. Eine total unerwartete Ausstellung.

Der Weg in den zweiten Stock führt durch Räume mit den Schätzen der Klassischen Moderne. Licht, klar und mitunter unverbindlich wirken die Werke gegenüber denen, die die Britin Lynette Yiadom-Boakye als hohe Kunst der gegenwärtigen Malerei präsentiert. Dunkel, diffus und persönlich schauen den Betrachter die Protagonisten ihrer Bilder geradezu ins Gesicht. Offen, sogar offensiv.

Die Malerin mit ghanaischen Wurzeln ist eine Schwarze, und sie malt ausschließlich schwarze Menschen. Einzeln und in Gruppen, Männer und Frauen so gut wie nie zusammen auf einem Malgrund. Erstaunlicherweise, so erklärt es die britische Kuratorin Andrea Schlieker, kommt nicht ein einziges Mal die Farbe Schwarz zum Einsatz. Vielmehr mische die Künstlerin die tiefsten Töne unter Schwarz zusammen, schichte diese in dünnen Lasuren auf dem unruhigen Leinen mit Fischgrätstruktur.

Ölfarbe und Hasenleim setzt sie nach traditioneller Manier ein. Lynette Yiadon-Boakye malt nass in nass, schnell, ohne Vorzeichnung. Niemand von ihren Protagonisten ist real, Modelle setzt sie nicht ein. Alle Menschen entstehen in ihrer Fantasie.

 Lynette Yiadom-Boayke, "A Concentration" (2018) aus der Carter Collection.

Lynette Yiadom-Boayke, "A Concentration" (2018) aus der Carter Collection.

Foto: K20/Courtesy Lynette Yiadom-Boayke

Seit ihrer Nominierung für den Turner Prize vor acht Jahren hat ihr Ruhm stetig zugenommen, ihre Bilder kosten ab einer Million Euro aufwärts. Zu den berühmten Sammlern gehört der Franzose Francois Pinault sowie die Schwester von Beyoncé. Die Malerin (1977 in London geboren) ist heute international gefeiert und preisverwöhnt.

Jetzt wird sie nach Auftritten in der Tate Gallery und in Stockholm die Menschen in der Kunstsammlung NRW hineinziehen in ihre Welt. Im besten Fall wird das ein Eingrooven sein. Denn Musik und die Literatur spielen für Yiadom-Boakye eine ebenso große Rolle wie das Malen. Was sie nicht schreiben kann, sagt sie, das male sie. Und was sie nicht malen kann, schreibt sie auf. Die ausschweifenden Titel ihrer Werke, wie auch der Ausstellungstitel „Fliegen im Verbund mit der Nacht“, betrachtet die Künstlerin nur als einen weiteren Pinselstrich.

Als „Begnadet“ und „virtuos“ würdigt die britische Künstlerin auch Susanne Gaensheimer. Die Direktorin der Kunstsammlung sagt es nicht ausdrücklich, aber wer sie kennt, spürt dahinter ihren Willen, Kunst zu zeigen, die den Horizont weitet, gesellschaftlich brisant und gleichzeitig von hoher Qualität ist. Leider konnte die Künstlerin aus Krankheitsgründen nicht zur Ausstellung kommen. Und doch wird man ihre humanistischen Botschaften, ihre Lebenszeichen aus einer schwarzen Welt, ihre Poesie und ihren Rhythmus des Lebens in ihren Bildern finden.

Alle schwarzen Menschen sind locker und souverän abgebildet, niemals in Sonderrollen wie Opfer oder als Randfiguren. Lynette Yiadon-Boakye malt Schwarze jenseits aller Klischees, sie stellt sie dar als dieselben universellen Persönlichkeiten, als die normalerweise weiße Menschen dargestellt werden. Es ist ein Statement zum souveränen Sein. Das Heraufbeschwören eines Menschseins jenseits aller Betrachtungen über Andersartigkeit.

Die Menschen sprechen zum Betrachter durch ihre Posen und mit den Augen. Alles andere ist offen gehalten, ohne Ort und Zeit, meist ist ein Mensch oder eine Gruppe im Modus des sanften Müßiggangs. Heiterkeit, Rauchzeichen, ohne modische Accessoires und Mobiliar. Keine Indikatoren zu gesellschaftlichem Status oder Gruppenzugehörigkeit.

In ihrem Londoner Atelier, das sie während des Lockdowns nicht aufsuchen konnte, hortet Yiadom-Boakye ein Sammelsurium aus Zeitschriften, Schnappschüssen und Bildern aus Familienalben. Daraus zitiert sie. Auch Details wie Posen aus berühmten Gemälden Alter Meister können in ihre Bilder einfließen. Ihre Figuren entstehen als Mischwesen aus Fakten und Fiktion.

Ihre Bilderwelt weitet sich schließlich in die Fabel hinein, ein Fuchs gesellt sich zum Mann, eine Katze, ein Pfau oder ein Papagei. Manche Männer tragen gefiederte Kragen – diese Bilder sind in Magie getunkt. Schwer zu enträtseln. Womöglich dienen die Tiere der Erweiterung des menschlichen Charakters.

Es ist eine unbestimmte Macht, mit der Yiadom-Boakyes Bilder den Betrachter anziehen. Die Porträts sind von großer Anmut und malerischer Kraft. Auch das klassische Konversationsstück der Malerei des 18. Jahrhunderts flackert neu auf in Yiadom-Boakyes Bildern, worin man Geselligkeit, Zusammengehörigkeit und Behaglichkeit zelebrierte. Diese sehenswerte Ausstellung erweitert unser Bild von zeitgenössischer Malerei und vermag unsere Vorstellungen von Kunstgeschichte neu zu kalibrieren.

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