Operninszenierung Tschaikowski geht nach Hollywood

Düsseldorf · Die Regisseurin Lydia Steier inszeniert „Pique Dame“ an der Rheinoper als 50er-Jahre-Geschichte. Premiere ist am Samstag.

 Lydia Steier.

Lydia Steier.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Sie bekommt wenig Schlaf in den letzten Tagen vor der Premiere. „Oft nur drei, vier Stunden“, sagt Lydia Steier. „Man neigt in dieser Phase dazu, betriebsblind zu werden, weil noch so viel erledigt werden muss. Kleinkram, den keiner sieht, der einen aber als Regisseur komplett fertig macht.“

Die Anstrengung merkt man ihr nicht an. Es wird ein entspanntes Gespräch mit der Amerikanerin aus Connecticut, die nach zahlreichen Meriten an deutschsprachigen Opernhäusern zum ersten Mal in Düsseldorf inszeniert. Als Christoph Meyer ihr „Pique Dame“ von Tschaikowski antrug, sei sie sofort darauf geflogen. „Ich dachte, cool, Geistergeschichte plus höfisches Drama ergibt eine glückliche Lydia.“ Bei der Konzeption entdeckte sie, wie aktuell das Stück ist. „Eine Seele wird massiv unter Druck gesetzt. Sie zerbricht, weil sie nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Viele Menschen erleben Ähnliches und ticken aus.“ Der Stoff vereine vieles: übernatürliche Elemente, kreisende Liebesdreiecke und ein Libretto, so elegant wie bei da Ponte.

Puschkins Schäferspiel, die literarische Vorlage für „Pique Dame“, liebt sie schon seit Ewigkeiten. „Schön, dass ein Meister wie Tschaikowski ein so wundervolles Sammelsurium verschiedener Stilrichtungen der Oper daraus gemacht hat“, fasst die Regisseurin zusammen. Am wichtigsten ist ihr die Musik. „Immer und immer. Es passierte schon, dass ich vor lauter Verliebtheit in die Musik zu spät bemerkte, wie schwierig ein Stück war.“ Bei „Pique Dame“ habe der gedankliche Prozess lange gedauert. Sie suchte nach einer Bildsprache, einer stimmigen Verortung, in der Außenseiter es schwer haben. Vielleicht ein Internat für Kinder reicher Leute wie im „Club der toten Dichter“?

Als ihr das Buch „Mommy Dearest“ („Meine liebe Rabenmutter“) in die Hände fiel, in der Christina Crawford ihre qualvolle Kindheit als Tochter von Joan Crawford protokollierte, hatte sie ihre Brücke zu „Pique Dame“ gefunden. Es entsprach der krankhaften Beziehung zwischen Lisa und ihrer Großmutter in der Oper. Deshalb verlegt Lydia Steier ihre Bühnenwelt in die späten 50er Jahre, die Zeit der glamourösen Hollywood-Diven und Helden vom Schlage Dean Martins. Das Düsseldorfer Haus sei dafür wie geschaffen. „Ein 50er-Jahre-Bonbon“, schwärmt sie.

Lydia Steiers große blaue Augen wirken wie Magnete. Mit ihrem lebhaften Mienenspiel könnte man sie sich gut auf einer Bühne vorstellen. Tatsächlich hat sie mal als Sängerin angefangen, „und irgendwann wieder aufgehört. Es passte nicht wirklich zu meiner Persönlichkeit. Ich bin ein sehr nervöser Mensch, man darf mich nicht bei einer Premiere erleben. Das Singen wurde zu einer Belastung.“ Dazu missfiel ihr die amerikanische Ausbildung. „Wir hatten Menuettkurse und lernten Fechten. Man bereitete uns auf eine Welt vor, die gar nicht mehr existiert.“ Sie lacht. „Außer vielleicht in den USA.“ Bei ihrem Wunsch, zur Regie zu wechseln, riet ihr ein Professor, nach Deutschland zu gehen: „Wer im Musiktheater etwas werden will, muss die Szene zumindest kennen.“

Ein Fulbright-Studium brachte sie 2002 nach Berlin. „Ich erwischte die perfekte Zeit. Eine Riege junger Regisseure krempelte die Opernhäuser um. Mit meiner amerikanischen Art kam ich da gut an und durfte häufig assistieren.“ Calixto Bieito vertraute ihr große Opernchöre an. „Ich war oft involviert in Massenregie“, sagt sie. Ihr Lebensgefährte singt im Opernchor Dresden, das sage alles, fügt sie scherzhaft hinzu. Wo wohnt sie heute? Ein langer Seufzer. „Ich zahle Miete in Berlin.“ Aber dauernd ist sie anderswo. Bald folgt „La Juive“ zur Intendanz-Eröffnung von Laura Berman in Hannover, „da darf ich das Eis brechen“. Von Düsseldorf hätte sie gern mehr gesehen, die Proben in Duisburg verhinderten es. Wohl aber konnte sie etwas von der lebendigen Kunst- und Galerieszene der Stadt erspüren.

Zurück zu „Pique Dame“. Die Oper wird auf Russisch gesungen. War der Zugang nicht schwierig? „Meine Großmutter stammt aus der Ukraine, meine Mutter sprach Russisch“, sagt sie. „Mir hat man es leider nicht beigebracht. Aber ein Gefühl für die Sprachmelodie habe ich wohl doch.“ Bei der Premiere wird Lydia Steier ihre Aufgeregtheit unterdrücken und tapfer im Zuschauerraum sitzen. „Ich muss mir diesen Schmerz antun, weil ich glaube, dass meine nervöse Energie alles zusammenhält. Ohne sie könnte alles auseinander fliegen.“

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