Düsseldorf Leise und klug: Pinocchio in Düsseldorf

Düsseldorf · Die Premiere des Märchenstückes im "Central" des Düsseldorfer Schauspielhauses kam bei den Kindern gut an. Das Märchen vom Ende des 19. Jahrhunderts hat bis heute nichts an Wirkkraft und Moral eingebüßt.

Düsseldorf: Leise und klug: Pinocchio in Düsseldorf
Foto: Sebastian Hoppe

Wenn doch nur die blöde Nase nicht wäre! Sie sondert das von seinem Papa emsig zusammengesägte Kind aus, sobald es seine ersten staksigen Schritte ins Leben unternimmt. Man sieht es gleich: Dieser Kerl ist nicht so wie die anderen. Pinocchio ist ein Hampelmann, ein Wesen aus Holz, das zwar eine Seele hat, aber sich nichts mehr im Leben wünscht, als ein richtiger Junge aus Fleisch und Blut zu werden. Das gelingt ihm nicht sogleich. Eigentlich ist er ganz anders, er kommt nur viel zu selten dazu, tut das Falsche, obwohl er das Richtige vorhat. Das Schlimmste ist, dass seine Nase auch noch länger wird, wenn er die Unwahrheit sagt. Das kommt hin und wieder vor. Unvorstellbar für die Kinder - zum Glück ist es nur ein Sinnbild.

Von der Menschwerdung dieser Fantasiefigur durch alle Mühlen der Moral, von ihren Abenteuern, Wegen und Umwegen, berichtet der Italiener Carlo Collodi schon 1881. Aus seinen losen, zunächst in einer Zeitung veröffentlichten Abenteuern entstand ein Kinderbuchklassiker, der jetzt zum Düsseldorfer Weihnachtsmärchen neu bearbeitet wurde. Der argentinische Regisseur Marcelo Diaz baut in der Spielstätte "Central" des Düsseldorfer Schauspielhauses ein Reich der Fantasie mit einfachen und eindringlichen Mitteln auf; Hauptwerkstoff ist - wen wundert es? - das Holz. Im Bühnenhintergrund hängen lange Latten, die wie die Stäbe eines riesigen Marimbafons klackern können. Am Ende der Abenteuerreise wandeln sie sich unter blauem Licht und lautem Wellenschlag zu Walfischzähnen. Pinocchio bekommt ganz schön viel zu tun, um sich und seinen Papa aus dem Bauch des riesigen Fisches zu befreien.

Die jungen Besucher haben sich für die festliche Premiere mitunter feingemacht, Mädchen kommen als Prinzessin, oder sie tragen Blumen im Haar, ein Junge hat sich eine goldfarbene Pappkrone auf den Kopf gesetzt. Die Kinder wissen, das ist ihr Stück, und es ist auch dieses Mal eine besondere Aufführung wegen der vorweihnachtlichen Zeit. Mucksmäuschenstill folgen sie dem krawallfreien Geschehen. Und wenn sie mitfiebern, dann tun sie es leise, nur einmal warnt ein kleines Mädchen Pinocchio vor dem offensichtlichen Schritt ins Unheil.

Die Abenteuer des Pinocchio haben mit denen der Kinder von heute auf den ersten Blick wenig zu tun. Wer lässt sich schon von Fuchs und Kater gleich mehrfach reinlegen? Wer bricht freiwillig mit einem bunten Völkchen ins Land der 1000 Spiele auf, wo die Zuckerwatte so groß ist wie ein Gyrosspieß? Aber es gibt natürlich auch Parallelen: das Störrischsein ist fast jedem Kind eigen bis hin zur Anarchie. Der Hang, sich erst einmal nicht anstrengen zu wollen, um etwas zu erreichen. Bis man drauf kommt, dass es anders nicht geht. Oder die Tendenz, sich von der gemütlicheren Alternative verführen und damit vom rechten Weg abbringen zu lassen. Das kennen schon die Allerkleinsten und folgen deshalb Pinocchios Abenteuern mit echtem Interesse dafür, wie es am Ende für ihn ausgeht.

Um die Bühne herum ist ein Naturorchester aufgebaut, es knistert aus Zeitungspapier, es raschelt, rieselt, sägt und grollt. Der virtuose Mann am Klavier (Klaus-Lothar Peters) bedient mit links die Windmaschine, wenn er nicht gerade den Carabiniere geben muss. Jeder Sound ist echt und analog, was seiner Wirkung keinen Abbruch tut. Das Theater ist ein purer Erlebnisraum, der die Sinne anregt, die Fantasie noch beflügelt. Pädagogisch ist das wertvoll. Dabei bleibt die Kunst nicht auf der Strecke. Die Schauspieler arbeiten stark pantomimisch, sind drollig drauf wie Kater und Fuchs (Dominik Paul Weber/Bernhard Schmidt-Hackenberg), extrovertiert wie die Fee (Teresa Zschernig) oder die Grille (Jasmina Music). Tatsächlich ist es Philip Schlomm, der mit seinem Spiel als Vater am meisten berührt. Was ihm auch schon als "Tschick" gelang, setzt er hier fort. Einfach bravourös.

Pinocchio als perfekter Holzbengel - das setzt Jonathan Schimmer mit der nötigen Skurrilität um und schafft den Spagat zwischen Fantasie und Realität. Weil er ein gutes Herz zeigt, weil er sich endlich Mühe gegeben hat, erlöst ihn die Fee. Pinocchio darf die Nasenmaske abnehmen, den Papa umarmen. Ein bisschen Happy End in dieser kalten Welt. Das tut besonders den Kindern gut. Langer, warmer Applaus.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort