Ausstellung im K20 in Düsseldorf Der ganze Ruff

Düsseldorf · In der Kunstsammlung NRW breitet der Düsseldorfer Künstler Fotoserien aus zwei Jahrzehnten seines umfangreichen Schaffens aus.

 Thomas Ruff inmitten seiner Ausstellung in der Kunstsammlung NRW.

Thomas Ruff inmitten seiner Ausstellung in der Kunstsammlung NRW.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Regenmantel, Aktentasche, Jackett, Jeans und Lederschuhe – so kommt Thomas Ruff zum Treffen in die Kunstsammlung NRW, wo er 13 Serien aus zwei Jahrzehnten seines Oeuvres aufgebaut hat. Nichts von der affektiert schillernden Welt mancher Stars hat auf ihn abgefärbt. Man könnte ihn glatt für den Direktor des Hauses halten. Dabei rangiert der 62-Jährige als einer der ganz Großen neben Andreas Gursky und Thomas Struth – als Protagonist der „Düsseldorfer Photoschule“ – als international bedeutender Künstler seiner Generation.

Er hatte in den 1980er Jahren mit seinen farbigen Großporträts erste Anerkennung gefunden, die in ihrer Monumentalität dem Motiv Mensch ungewohnten Abstraktionsgrad verliehen. Der gebürtige Schwarzwälder wird längst als Düsseldorfer geführt, weil er hier seit dem Studium in der Becher-Klasse an der Kunstakademie ansässig geworden ist. Weil er in einem architektonisch spektakulären Haus sein Atelier unterhält, das er sein Wohnzimmer nennt. Den ganzen Tag verbringt er dort, erzählt er. Und dass seine zwei Töchter ihren Vater als Künstler bezeichnen, auf keinen Fall als Fotokünstler. Weil sie es von ihm so gelernt haben. „Ich bezeichne mich als Künstler“, so Ruff, „weil ich auf einer Kunstakademie studiert habe“.

Das Akademische, besonders das Forschende ist ihm Maxime geblieben. Wenn er zum Schauen seiner in der Klee-Halle labyrinthisch angeordneten Bilderserien einlädt, schweigt er. Befragt man ihn als den konzeptuellen Produzenten angeeigneter Bilder, erfährt man Teile der Fotografie-Geschichte bis in die Anfänge. „Historiker des Fotografischen“ wird Ruff genannt, weil ihn die bereits fotografierte Welt interessiert. Kein Bild ist vor ihm sicher.

Dies alles spielt auf seine Vorgehensweisen, seine Experimentierlust an. Ruff hat früh und konsequent die Fotografie ohne Kamera entwickelt, bei der ebenso die Dunkelkammer digital dem analogen Vorbild nachgebaut wurde. Man muss sich den Künstler fortwährend am PC sitzend vorstellen – werden die Dateien zu groß, etwa bei den Fotogrammen, übernimmt ein Superrechner in Jülich das Rendern.

Das Technische in Ruffs Fotografie tritt total in den Hintergrund, lässt man sich aufs Schauen ein. Die Kunstsammlung bietet eine reiche Auswahl, von Kurator Falk Wolf intelligent gesteuert, so dass der Besucher Ruffs Welt in vielen Stimmungen durchschreiten kann: Er kann sich intellektuell-aufgeregt fühlen oder einfach nur sinnlich beziehungsweise ästhetisch angerührt sein. Plakative Tableaus („Tableaux chinois“) mit chinesischen Heile-Welt-Motiven beschäftigen den Verstand. „Ich finde Bilder faszinierend, die offensichtlich lügen“, sagt Ruff, die Propagandafotografie sei die verlogenste Form der Bildproduktion. Mao hat er viel Platz eingeräumt, sein Konterfei mit Raster und Pixeln in die visuelle Sprache des 21. Jahrhunderts übersetzt, so dass es als manipulatives Bild entlarvt werden kann. „Ich bin ein Aufklärer“, sagt Ruff beiläufig.

Ganz anders das Vorgehen bei den handkolorierten Porträts, die aus einem Buch über herzkranke Menschen stammen; sie zeigen Ruff als den universellen Künstler, der eigenhändig zum Pinsel greift, um besorgten Gesichtern tünchende Farbe zu verleihen. Es sind die einzigen Unikate.

Die Ausstellung gibt vielerlei Anlass zu Spekulationen über den hochsensiblen Charakterkopf, der sich der Fotografie verschrieben hat und zum Leidwesen der Studenten nur wenige Jahre an der Akademie lehrte. Von seinem „Spaßraum“ spricht Ruff, vor der Serie „ma.r.s“ stehend – entstanden zwischen 2010 und 2014. Diese Bilder nahm die Kamera einer Raumsonde auf, Ruff bearbeitete sie mehrfach – am Ende lässt dank Anaglyphen-Verfahren die im Katalog mitgelieferte 3D-Brille das plane Bild einen halben Meter in den Raum hineinwachsen.

Zeitungsfotos hält Ruff für die am schlechtesten behandelten Bilder– solchen Verschnitten widmet er sich, indem er sie neu reiht. „Meine sixtinische Kapelle“ nennt er den Raum der aufregenden erotischen Bilder. Seine „Nudes“ (ab 1999) hat er aus kleinen Internet-Akten in Form von Thumbnails hochgezogen. Er wollte alle Aspekte von Sex zeigen, obszön sein dürfen. „Der ganze Ruff“ – dazu habe ihn die Kunstsammlung eingeladen. Ganz neu sind die „Flower.s“: In den Garten sei er gegangen und habe nach Jahrzehnten wieder die Kamera zur Hand genommen. Rosenblüte, Kastanienblatt oder Lilie – ausgebleicht, farblos und fragil inszeniert ein sentimentaler Ruff das Motiv mithilfe von Pseudo-Solarisation. Nicht er suche die Bilder, sondern die Bilder fänden ihn. Das sei auch bei den Blumen eine Aufforderung gewesen.

So modern die vielfälttigen Verfahren, so konservativ die labyrinthisch mäandernde Präsentation des Ruff-Universums in Holzrahmen an der Wand. Denkbar sei, sagt er, dass in Zukunft digitale Displays Kunst beherbergten. Der Bewahrer in ihm kontert sogleich: „Ein ausgedrucktes gerahmtes Bild an der Wand ist das Schönste, das es gibt.“ Die Güte eines Werkes sei auch unter Millionen von Bildern von Handyhobbyfotografen erkennbar. Sie ergibt sich aus Komposition, Format, inhaltlicher und visueller Kraft. Der Mensch nicht zu vergessen. „Als Beweggründe für meine Bilder kann ich nichts angeben, außer, dass es vielleicht autobiografische Aspekte gibt.“

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