Theater andernorts Schauspielhaus erfolgreich mit Theater „to go“

Düsseldorf · „Nathan“ in der Berufsschule, „Parzival“ im Beerdigungsinstitut: Die „To go“-Inszenierungen sind beliebt und finden ungewöhnliche Gastgeber.

 Henning Flüsloh, Jürgen Sarkiss und Ensemble in der jüngsten „To go“-Inszenierung des „Parzival“ nach Tankred Dorst.

Henning Flüsloh, Jürgen Sarkiss und Ensemble in der jüngsten „To go“-Inszenierung des „Parzival“ nach Tankred Dorst.

Foto: Thomas Rabsch

Regisseur und Videokünstler Robert Lehniger hat vor drei Jahren das Format Theater „to go“ erfunden, das Theater an andere Orte der Stadt bringt. Das neue Team des Schauspielhauses musste in Düsseldorf zunächst ohne festen Standort starten und beschloss, den Mangel kreativ und mit Zuversicht handzuhaben. So wie es freie Theatergruppen ja schon lange bewerkstelligen, weil sie sich eine feste Produktions- und Präsentationsstätte angesichts hoher Kosten ohnehin nicht leisten können. Dem unfreiwilligen Umgang mit Provisorien ist ein Einfallsreichtum erwachsen, von dem sich die etablierten Häuser gerne etwas abschauen. Mit „Parzival“, der kürzlich in der evangelischen Melanchthonkirche in Düsseldorf-Mörsenbroich Premiere feierte, gibt es neben „Nathan“ und „Faust“ derzeit die dritte mobile Inszenierung des Schauspielhauses und mit ihr eine wachsende Nachfrage. Nahezu jede Vorstellung ist ausverkauft, dazu buchen die Gastgeber mittlerweile Künstler und Technik für mehr als nur einen Termin. Für den „Parzival“ hat jüngst ein Bestattungsunternehmen angefragt und das Oberlandesgericht Düsseldorf ist so etwas wie ein Stammkunde geworden. Auch die Kaiserpfalz in Kaiserswerth wurde als Bühne angeboten. Jedoch scheiterte das Vorhaben in der Burgruine, da die deutschen Wetterbedingungen mit der sensiblen Theater-Technik nicht verlässlich zu vereinen sind.

Dramaturgin Beret Evensen begleitet die „to-go“-Inszenierungen seit Beginn. Sie und ihre Kollegen wunderten sich anfangs, dass der Taxifahrer das Ziel nicht kannte, wenn sie „zum Theater, bitte“ angaben. Es war also noch dringlicher, als sie vermutet hatten, alles zu geben, um das Theater mehr mit der Stadt zu verknüpfen. Dass sie obendrein durch Düsseldorf würden vagabundieren müssen, um geeignete Spielstätten zu finden, während das Haus am Gustaf-Gründgens-Platz saniert wurde, passte ungewollt ins Konzept. Wenn die Menschen nicht zu ihnen kamen, wenn sie nicht zu ihnen kommen konnten oder wollten, gingen sie eben zu den Menschen. Auch deswegen hat eine Wissenschaftlerin das Düsseldorfer Format jetzt zum Gegenstand einer Forschungsarbeit über „temporäre Aufführungsanordnungen“ gemacht.

Um sich an Düsseldorf, das sie nicht kannte, und seine architektonischen Möglichkeiten heranzutasten, hat Beret Evensen Stadtführungen besucht. „Wir wollten nicht bloß mit einem Koffer und einem Schauspieler kommen, sondern so groß und glamourös wie möglich“, sagt Evensen. „Wenn jemand das Theater zu sich einlädt, kommt auch das ganze Theater.“ 20 Leute sind es immer, mit Schauspielern, Regisseur, Maske, Kulisse und Technikern. Der Raum, den der Gastgeber zur Verfügung stellt, muss mindestens 100 Plätze bieten. Für den Kartenverkauf und das Bewerben der Vorstellung ist der Gastgeber verantwortlich. Das sind sehr häufig Kirchen, aber auch Schulen, das Gefängnis in Ratingen, die Freizeitstätte Garath oder das LVR-Klinikum in Grafenberg mit seiner psychiatrischen Ausrichtung. Dessen Patienten bekamen den mobilen „Nathan“ allerdings ohne einzelne Videosequenzen zu sehen, da sie die Szenen als zu drastisch hätten empfinden können.

„Faust“, „Nathan”, „Parzival” – alles Klassiker, deren knorriger Ruf häufig auch dann noch Abwehr hervorruft, wenn die Schulzeit schon lange im Reich überhöhter Erinnerungen besungen wird. „Goethe und Lessing behandeln jedoch Themen, mit denen wir im Theater umgehen, weil sie überzeitlich sind und von uns erzählen“, sagt Evensen. Das wolle man niemandem vorenthalten. Also werden Sprache und Optik für die mobilen Formate in eine moderne Ästhetik übertragen, damit auch diejenigen Zuschauer aufhorchen, die mit dem Theater nicht vertraut sind. Ein riskantes Unterfangen, denn hastige Auffrischungen können leicht albern geraten.

 Szene aus der mobilen Inszenierung von Faust (to go) mit Torben Kessler (l.) und Cennet Rüya Voß

Szene aus der mobilen Inszenierung von Faust (to go) mit Torben Kessler (l.) und Cennet Rüya Voß

Foto: Sebastian Hoppe/Schauspielhaus
 Konstantin Lindhorst (l.) und Jonas Friedrich Leonhardi in Nathan (to go) nach Gotthold Ephraim Lessing

Konstantin Lindhorst (l.) und Jonas Friedrich Leonhardi in Nathan (to go) nach Gotthold Ephraim Lessing

Foto: Thomas Rabsch

Lehniger ficht dies nicht an, seine Inszenierungen gelangen bisher packend und relevant. Geschickt setzt er Videokunst ein und nutzt Textfassungen, die den Abend auf knapp zwei Stunden beschränken. Im „Faust“ reist ein wilder Lebemann mit einem Wohnmobil zu Auerbachs Keller, Parzival entsteigt als Superheld dem Marvel-Universum, und Nathan lässt sich nicht ins Boxhorn jagen. Beret Evensen war dennoch unsicher, ob dieser fabelhafte Nathan auch die mehr als 100 Berufsschüler für sich gewinnen könnte, die dem Theater überhaupt nur näherrückten, weil eine engagierte Lehrerin ihnen die Kraft dramatischer Stoffe beherzt aufdrängte. „Sie saßen auf ihren Plätzen, hatten ihre Handys eingeschaltet und waren uninteressiert“, sagt Evensen. Aber die Geschichte um Religion und Toleranz packte die jungen Zuschauer schließlich doch, und am Ende der Vorstellung saßen sie mit den Schauspielern beisammen und hatten viele Fragen.

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