Schorsch Kamerun im Interview "Künstler dürfen keine Politiker sein"

Düsseldorf · Schorsch Kamerun ist Sänger der Punkband Goldene Zitronen, Hörspielautor, Theatermacher. Nun inszeniert er ein eigenes Stück am Schauspielhaus: "Sender Freies Düsseldorf" – ein Piratenradio-Abend über die Frage, wer das Recht zu senden hat – und es wie nutzt.

Schorsch Kamerun ist Sänger der Punkband Goldene Zitronen, Hörspielautor, Theatermacher. Nun inszeniert er ein eigenes Stück am Schauspielhaus: "Sender Freies Düsseldorf" — ein Piratenradio-Abend über die Frage, wer das Recht zu senden hat — und es wie nutzt.

Was hat Sie auf die Idee gebracht, auf einer Bühne Radio zu machen?

Schorsch Kamerun Wir machen nicht einfach Radio, das wäre natürlich Quatsch. Wir denken darüber nach, was allgemein so alles gesendet wird, wer darüber entscheidet, wie sendenswert das überhaupt ist und wie wir selbst diese Masse an Gesendetem filtern können. Dabei wird es an jedem Abend live auf der Bühne zwei Interviews geben mit Menschen, die selbst Sender sind, Literatur verlegen, Kunst machen, Medienleute sind oder etwa in der Initiative "Die Radioretter" mitmachen. Außerdem habe ich vorher etliche Interviews geführt mit allen Mitmachenden und daraus einen Text gemacht, eine Collage. Den bringen Videokünstler, Radioaktivisten, Ausstatter, ich selbst und vier Schauspielerinnen aus dem Ensemble in einer Musikperformance-Installation auf die Bühne.

Was hat Sie zu dieser Installation angeregt?

Kamerun Bis in die 90er Jahre ging es ja viel um Selbstverwirklichung, um den flexiblen Menschen. Doch irgendwann ist uns aufgegangen, dass Selbstfindung und Selbstverantwortung einhergehen mit dem Zwang zur Selbstvermarktung. Beuys befreiender Satz — jeder Mensch ist ein Künstler — ist gekippt in den Druck, jeder müsse ein Künstler sein, müsse sich zur Schau stellen, zum Beispiel im Internet irgendetwas hinterlassen. Diese Idee, alle müssten sich ständig darstellen, müssten Sender sein, hat zu einer ungeheuren Output-Flut geführt, die wir kaum filtern können. Wir können auch den Wahrheitsgehalt dieses Infostroms kaum noch ausmachen. Dieses Problem können wir mit einem Theaterabend nicht lösen, aber wir können es analysieren und beschreiben.

Das könnten die Zuschauer unbefriedigend finden.

Kamerun Keine Lösung zu bekommen, ist unbefriedigend — aber absolut notwendig. Das fand ich auch so spannend an der Occupy-Bewegung. Die hat auch nicht gleich ein Programm formuliert, ein Gesicht geliefert, sie hat sich nicht verpacken lassen. Das ist entscheidend, wir wollen auch nicht sofort eine These liefern, die sich zu leicht beschreiben lässt. Als freie Ausprobierer brauchen wir das Unbestimmte, auch um uns zu schützen.

Aber mit einer These kann man sich auseinandersetzen.

Kamerun Mir geht es um eine bestimmte Haltung auf der Bühne. Die müssen auch alle Akteure einnehmen, ich brauche Darsteller, die den Text mitdenken können, sonst geht es nicht. Aber Künstler dürfen keine Politiker sein. Sonst sind sie nicht frei, aberwitzige Behauptungen zu formulieren und radikale Gesten auszuprobieren. Als Künstler muss ich sagen können: Alle Grenzen gehören abgeschafft.

Wenn Künstler das sagen, irritiert das die Menschen aber wenig, weil daraus nichts Konkretes folgt.

Kamerun Ich glaube schon, dass das irritiert. Und um diesen provozierenden Gestus geht es, der führt zu Debatten.

Betrachten Sie sich noch als Punk-Künstler?

Kamerun In meiner Haltung sicher. Ich bleibe Kapitalismuskritiker. Natürlich sehe ich nicht mehr wie ein Punker aus, aber das hatte sich erledigt als die erste CDU-Politikerin mit roten Haaren im Bundestag auftauchte.

Was hat Sie, auch als Band- Mitglied der Goldenen Zitronen, zum radikalen Gesellschaftskritiker gemacht?

Kamerun Das Kackdorf an der Ostseeküste, aus dem ich komme. Da gab es viel Autoritäres, Nazireste unter Lehrern, ein Café mit dem Schild: "Hunde und Jugendliche kein Zutritt." Wir waren da nicht gewollt. Klar haben wir auch mal Blödsinn gemacht, aber wenn ein Ort beschließt, am Marktplatz alle Bänke abzumontieren, damit man gezwungen ist, im Café zu konsumieren, man da aber auch nicht rein darf, dann ist das subtiler Terror. Genau wie die Schalensitze, die überall in der Öffentlichkeit angebracht werden, damit sich keine Obdachlosen mehr auf Bänke legen können. Solche Ungerechtigkeiten haben mich als Jugendlichen bewegt. Da konnte ich nur dagegen sein und habe nach Alternativen gesucht.

Und sind Künstler geworden. Machen Ihnen ihre Auftritte Spaß?

Kamerun Unbedingt! Protest muss kreativ und attraktiv sein, muss unterhalten. Sonst will niemand zuhören. Aber ich schiele nicht nach Erfolg. Ich mache, was ich mache und sehe, wie das ankommt. Ich habe keine Angst zu scheitern — das Scheitern gehört beim Theater sowieso dazu.

(RP/jco)
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