Taoufiq Izeddiou "Körpersprache ist heilig, ehrlich und aufrichtig"

Düsseldorf · Der Choreograph Taoufiq Izeddiou (42) arbeitet derzeit an dem transnationalen Projekt "Shifting Realities" im "tanzhaus NRW". Sein Tanztheaterstück "En Alerte" feiert am 21. Oktober Premiere. Ein Gespräch über Tanz und den Terror in der Welt.

Warum glauben Sie, dass die Menschen das Tanzen nicht verstehen?

Izeddiou In Wahrheit sieht man Tanz, um dann über die Botschaft nachzudenken. Aber im Theater ist oft das Problem, dass eine Mauer zwischen Darsteller und Publikum existiert. Sie verhindert, dass die Botschaft ankommt. Meine Aufführungen sollten die Besucher mit Fragezeichen im Kopf verlassen.

Mit welchen Fragen sollten sie Ihr Stück "En Alerte" verlassen?

Izeddiou Mit Fragen zum Heute, zu den Religionen und zur Spiritualität. Für mich fehlt es in der Welt an Spiritualität. Der Mensch ist das intelligenteste, stärkste Lebewesen. Wir haben Flugzeuge erfunden, aber wir schaffen es nicht, die Glaubensgrenzen der Religionen zu durchbrechen. Es ist, als gebe es eine Religionsmafia, die fragenden Menschen schnelle Antworten gibt.

Worum geht es in dem Stück?

Izeddiou "En Alerte" ist Tanz, Theater und Poesie. Es wird tranceartige Musik und Derwische geben und eine Menge existenzieller Fragen, die aufgeworfen werden.

Was soll der Titel "In Alarmbereitschaft" ausdrücken?

Izeddiou Dass ich alarmiert bin! Die ganze Welt ist in Alarmbereitschaft. Zwei Jahre habe ich an dem Stück geschrieben, und der Titel wurde immer realistischer. All dieser unglaubliche Terror, der in Frankreich, Belgien und überall passiert. Wir haben Krieg! Es sind Menschen, die jetzt gerade sterben, während wir unseren Alltag leben und nicht hinschauen, nicht verstehen.

Sie arbeiten als Marokkaner in Europa. Welche Unterschiede sehen Sie?

Izeddiou In Europa ist die Individualität ausgeprägt. Der Einzelne ist stark. In Marokko ist die Gemeinschaft stark und der Einzelne schwach. Wir brauchen zweierlei: starke Individuen in einer starken Gesellschaft. Es ist eine Utopie.

Können Sie diese Utopie als Künstler ein Stück weit realisieren?

Izeddiou Das ist eine starke Aussage, vielleicht teilweise. Es ist nur schwierig, viele Menschen zu überzeugen. Und es ist schwierig, alle zum Zuhören zu bringen. Auch im Ensemble braucht es eine starke Gemeinschaft, die spirituell ist.

Ist Spiritualität eine Antwort auf Krieg und Terrorismus?

Izeddiou Wenn man spirituell ist, geht es einem um das Wohl des Ich und das Wohl des Anderen. Sie macht uns alle gleich, verstehen Sie? Die Religion kennt Träume und Fantastisches, sie verspricht das Paradies nach dem Leben. Aber ich will hier und heute im Miteinander leben! Der Mensch fragt sich "Warum bin ich hier?", "Wer hat mich geschaffen?". Doch in der Religion versäumst du dein Leben. Mit der Spiritualität kannst du jetzt leben.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit daran etwas ändern können?

Izeddiou Stellen Sie mir diese Frage gerne jetzt, eine Antwort darauf gibt es aber erst im Nachhinein, zum Beispiel nach der Aufführung im Oktober. Und wenn es am Ende nur eine Person ist, die die Dinge hinterfragt und die Botschaft des Stücks versteht, ist das toll. Mich jedenfalls verändert die Arbeit mit Menschen - das ist ja schonmal einer (lacht).

Gerade arbeiten Sie für das transkontinentale Projekt "Shifting Realities".

Izeddiou Die Darsteller sind sehr unterschiedlich, aber uns verbinden viele Dinge. Ideen, Auffassungen vom Tanz, verschiedene Formationen und Sprachen. Es ist interessant, wie gut die Energie ist und die Lust zusammenzuarbeiten. Im Tanz steckt mehr als in Worten.

Was genau?

Izeddiou Ich glaube, dass Worte nicht ausreichen. Worte sind direkt, der Tanz ist abstrakt. Was wir nicht sagen können, kann unser Körper ausdrücken. Die Körpersprache ist heilig, ehrlich und aufrichtig. Ich liebe Worte, wenn sie Raum für Bewegung schaffen. Der Mensch hat getanzt, bevor er gesprochen oder geschrieben hat. Wenn wir in Marokko ein Baby sehen, das tanzt, sagen wir: Es in bester Gesundheit und glücklich. Es drückt Gefühle aus. Darum ist das Tanzen im Leben so wichtig. Wir sollten die Zeit finden und sagen: "Komm', lass uns tanzen."

JESSICA BALLEER STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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