Premiere im Schauspielhaus Kleists kluger "Krug"

Düsseldorf · Es gibt keinen Gerichtssaal und keine Dorfgemeinschaft, keine Robe und – wie Kleist es in seinem Einakter vorschreibt – keine Perücke. Dorfrichter Adam kommt in der Düsseldorfer Neuinszenierung von Heinrich von Kleists Lustspiel "Der zerbrochne Krug" splitternackt auf die Bühne. So wie einst unser aller Vorfahr durchs Paradies strich – kurz vor dem Sündenfall. Der tschechische Regisseur Dusan Davis Parizek hat den Klassiker für das Große Haus in kurzweiligen 100 Minuten eingerichtet, entschlackt und als Kammerspiel arrangiert.

 Tritt nackt auf die Bühne: Dorfrichter Adam (Frank Seppeler) im Lustspiel „Der zerbrochne Krug“.

Tritt nackt auf die Bühne: Dorfrichter Adam (Frank Seppeler) im Lustspiel „Der zerbrochne Krug“.

Foto: Sebastian Hoppe

Es gibt keinen Gerichtssaal und keine Dorfgemeinschaft, keine Robe und — wie Kleist es in seinem Einakter vorschreibt — keine Perücke. Dorfrichter Adam kommt in der Düsseldorfer Neuinszenierung von Heinrich von Kleists Lustspiel "Der zerbrochne Krug" splitternackt auf die Bühne. So wie einst unser aller Vorfahr durchs Paradies strich — kurz vor dem Sündenfall. Der tschechische Regisseur Dusan Davis Parizek hat den Klassiker für das Große Haus in kurzweiligen 100 Minuten eingerichtet, entschlackt und als Kammerspiel arrangiert.

Unser Dorfrichter ist athletisch, trägt modischen Kahlkopf, hat den linken Fuß, der in der Vorlage ein Klumpfuß ist und ihn verrät, mit Plastiktüten umwickelt. Adam wirkt in seinen Attitüden so selbstgefällig und cool, wie Kleist ihn Anfang des 19. Jahrhunderts kaum vorausahnen konnte. Doch dreiste, draufgängerische Menschen sind mitnichten eine Erfindung der Neuzeit. Die Tyrannen und Täter von einst sind heute die schwarzen Schafe unter Bankern oder Brokern, unter Wirtschaftsbossen, die für Gewinnmaximierung über Leichen gehen, oder es sind üble Politiker, die korrupt und verführbar sind, nur um ihre Macht zu wahren oder zu mehren.

Eine der verheerendsten kriminalistischen Ausprägungen im Rechtsstaat tritt dann ein, wenn der oberste Gesetzeshüter in einem Delikt das Urteil sprechen soll, in dem er selber Täter ist. So wie in dem zu verhandelnden Fall eines zerbrochenen Kruges, den Frau Marthe Rull vorträgt. Die Scherben dieses Kruges sind Indizien menschlichen Fehlverhaltens: "Dein guter Name lag in diesem Topfe", sagt Marthe vor Gericht zu ihrer Tochter Eve, in deren Kammer nächtens Dinge geschahen, die der Aufklärung bedürfen — nicht allein, weil in deren Umfeld der Krug zerbrach.

Kleists Stücks ist handlungsarm. Es wird viel gesprochen und wenig gespielt. Goethe fungierte als Regisseur bei der Uraufführung 1808, und er floppte. So ist die Idee des sauber intonierten Texttheaters unter Einbeziehung der Zuschauer gar nicht schlecht. Auf der offenen schwarzen Bühne wurden Stangen verbaut, vielleicht sind es Sinnbilder für Lügengerüste. Die Aktion verlagert sich hin zum Publikum. Der Gerichtsschreiber zieht Absperrbänder um die Reihen. Alle sitzen im Schlamassel.

Regisseur Parizek lässt die Menschen aufeinander los in ihrer Egozentrik: Imogen Kogge als wie eine Katze klagende Krugbesitzerin, Rainer Galke als findig-fauler Schreiber, Till Wonka als Eves blauäugiger Bräutigam, Florian Jahr als überkorrekter Gerichtsrat. Anders ist die Eve von Stefanie Reinsperger in der Zerrissenheit ihres Herzens angelegt. Ein weißes Kleid trägt sie und wirft trotzig die Pumps durch die Gegend. Man wird nicht richtig schlau daraus, wie auch der Richter mitunter rätselhaft agiert. Schauspielerisch ist Frank Seppeler als Gast jedenfalls eine Bereicherung.

Empathie mit den Figuren fordert diese Inszenierung nicht. Die psychologische Grundierung des Falles gelingt über ein den Schluss bildendes Video, das ein entlarvendes Tête-à-Tête zwischen Adam und Eve in jener Nacht aufgezeichnet hat. Davor steht Eve und schluchzt. — Es gab viel Applaus und einige Buhs für die Regie.

(RP/jco)
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