Düsseldorf "Judas Ben Becker" ringt mit Posen

Düsseldorf · In der Johanneskirche flüsterte der Schauspieler, er schrie und tadelte das Publikum.

Die Johanneskirche ist nach dem Apostel benannt, nach dem Lieblingsjünger des Herrn. Doch bei Ben Beckers Performance "Ich, Judas" just in dieser Kirche kommt der Evangelist schlecht weg. Ein Verräter soll er sein, viel schlimmer als jener andere, den man als Judas Ischariot seit 2000 Jahren verflucht. So wird man es im zweiten, eindrucksvolleren Teil des Becker-Programms hören. Als Intro dient im ersten Teil zunächst Orgelmusik von Johann Sebastian Bach. Es folgen die Matthäus-Verse, in denen Jesus mit den Jüngern beim Abendmahl sitzt und spricht: "Einer unter euch wird mich verraten." Bei Kapitel 47 des Amos-Oz-Romans "Judas" wird die Donnerstimme des Schauspielers dann so leise, dass man von der Empore aus protestiert. Becker unwirsch: "Ich geb' jetzt ein bisschen mehr Gas." Mit neuer Lautstärke tadelt er diejenigen, die sich ein Hüsteln erlaubten. Das eingeschüchterte Publikum wird für eineinhalb Stunden den Atem anhalten.

Nach vielen Akustikproblemen bei seiner Judas-Performance in deutschen Kirchen hat Ben Becker sein eigenes Laut-Pathos teilweise reduziert und durch ein Pathos der Lautlosigkeit bei den Hörern ersetzt. Im weißen Anzug steht er vor dem Altarkruzifix, meditiert eine Weile, bevor er sich dem Lesepult nähert. Jedem Satz, manchmal jedem Wort, lauscht er nach, greift mit großer Geste nach dem entschwindenden Schall: "Neun Stunden hatte der Gekreuzigte nicht aufgehört zu stöhnen", heißt es über den Sterbetag des Menschensohns. Spätestens hier erzeugt die bekannte Bassstimme einen ehrfürchtigen Schauder.

Der setzt sich fort bei der "Verteidigungsrede des Judas Ischariot". Vierzig Jahre, nachdem der Rhetorikprofessor Walter Jens dieses Monodrama geschrieben hatte, sprach Ben Becker es 2015 für ein Hörbuch ein. In der Johanneskirche tritt er jetzt im wallenden Büßermantel auf. Sein Judas Ischariot verteidigt sich gegen das vor allem durch Johannes zementierte Urteil, ein Verräter gewesen zu sein. Er sei vielmehr der Erfüller eines göttlichen Plans gewesen: "Ohne Judas kein Kreuz. Ohne Kreuz keine Kirche. Ohne Kirche keine Überlieferung." Becker tigert über die Altarstufen und ins Kirchenschiff. Er haut mit der Faust auf einen Tisch und brüllt, bis er Schaum vor dem Mund hat. Jetzt hat ihn das Pathos doch wieder selbst eingeholt, aber es passt großartig. Man erlebt einen Schauspieler, bei dem das Gefühl mit der Pose ringt. Auch das Publikum traut sich wieder zu atmen und spendet nach dem Orgel-Abspann, wieder mit Bach, stehende Ovationen.

(RP)
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