Interview mit Konstantin Wecker „Blinder Gehorsam ist die größte Torheit“

Düsseldorf · Der Liedermacher ist immer noch ein zutiefst politischer Künstler. Jetzt geht er mit seinem neuen Programm auf Tournee.

 Schauspieler und Musiker Konstantin Wecker 2013 in der Rolle des Valentin im Fernsehfilm „Lilly Schönauer - Die Hochzeit meiner Schwester“.

Schauspieler und Musiker Konstantin Wecker 2013 in der Rolle des Valentin im Fernsehfilm „Lilly Schönauer - Die Hochzeit meiner Schwester“.

Foto: dpa/Tobias Hase

Konstantin Wecker träumt seit seiner Jugend von einer herrschaftsfreien Welt – seit Anfang der 1970er-Jahre auch öffentlich, als Liedermacher, Poet, Pianist und Sänger. Durch schwere Zeiten und Drogeneskapaden half ihm eine spirituelle Ader. Seine „Weltenbrand“-Tour bringt ihn im Herbst mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie nach Düsseldorf und Essen.

In „Willy“, einem Ihrer bekanntesten Songs, geht es um einen von Rechtsradikalen erschlagenen Freund. Sie haben ihn zuletzt vergangenes Jahr aktualisiert. Schwingt da auch Trauer darüber mit, dass rechte Gewalt nach wie vor an der Tagesordnung ist?

Wecker Ja, das ist so. Meistens passieren mir Songtexte übrigens einfach so, auch der „Willy“ ist so entstanden. Bei einem Song war das anders: „Sage nein“ habe ich bewusst als Antwort auf brennende Ausländerheime im Osten geschrieben, weil ich gedacht habe: Das ist so grauenvoll. Wie gern würde ich es heute in die Mülltonne schmeißen! Kein Mensch brauchte es mehr, wenn die Situation anders wäre.

Aber offenbar braucht man diese Lieder noch, auch den „Willy“. Wie erklären Sie sich, warum diese lange, mehr gesprochene als gesungene Ballade so erfolgreich wurde?

Wecker Das habe ich mich oft gefragt. Es hat eigentlich für den Rundfunk nichts gestimmt: Es ist zu lang. Es hat keine Band dabei. Es ist Bayerisch. Aber es erzählt von diesem Zwiespalt, der in uns allen ist. Ich sage ja eigentlich zu Willy: Komm, lass es gut sein. Aber er sagt: Nein, du darfst keine Angst haben vor nichts und niemandem. Und das ist doch die Frage, die in uns allen wohnt: Wann sind wir mutig, wann trauen wir uns, zu uns selbst zu stehen? In der Zeit, als ich den Song geschrieben habe, gab es noch kaum Neonazis. Eher die alten, die den Krieg überlebt hatten. Ein paar Jahre später habe ich dann „Vaterland“ geschrieben, über ein Café in Berlin, wo es die ersten lauten Neonazis gab. Aber auch damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass das wieder ein großes Thema werden könnte. Wenn es ein paar Prozent sind, kann man damit leben. Aber mit 50 Prozent Salvini-Anhängern in Italien kann man nicht mehr leben. Da wird mir als jemand, der oft in Italien ist, leicht übel.

Sie haben mal gesagt, sie befürchten, der Faschismus könnte zurückkehren nach Europa?

Wecker Ich glaube, das könnte passieren. Wenn man zum Beispiel die Geschichte der FPÖ anschaut: Deren Mitglieder waren ja nicht bloß „Neo-Konservative“, sondern die waren wirklich in Burschenschaften und sind bis heute bekennende Neonazis. Ich habe oft auf der Bühne von meinen Eltern erzählt, die Antifaschisten waren – ein Riesenglück für mich. Die gingen immer auf Demos mit mir, zum Beispiel gegen die NPD. Und einmal sagte meine Mutter: „Die Neonazis sind doch noch viel dümmer als die damals. Die müssen doch wissen, wie es ausgegangen ist.“

Glaubt man an die eigene Wirkmächtigkeit, wenn die Welt nach Jahrzehnten immer noch keine bessere ist?

Wecker Da gibt es den schönen Satz von meinem Freund Hannes Wader: Wie sähe die Welt aus, wenn es diese Mosaiksteinchen, zu denen wir gehören, nicht gäbe? Ich glaube gerade in den vergangenen Jahren immer mehr an die eigene Wirksamkeit, daran wie ich tausende Menschen ermutigen kann – und wie sie auch mich ermutigen. Wenn ich immer in einer einsamen Hütte sitzen würde und schreiben, würde ich zum Zyniker werden. Aber dass ich die Offenheit der Menschen erlebe, die sagen: „Du hast mir in den letzten drei Stunden Mut gemacht, zu mir selbst zu stehen“, macht mir auch selbst Mut.

Auf Hannes Waders Abschiedstournee habe ich in verheulte Gesichter geblickt, denen seine Stimme fehlen wird.

Wecker Ja, so ist es!

Was macht sein Abtritt mit Ihnen als Weggefährten?

Wecker Ich liebe ja den Hannes, und ich weiß, dass er ein anderes Verhältnis zur Bühne hat als ich. Er hat auch einen gewissen Respekt vor Publikum. Insofern ist er wahrscheinlich ganz froh, dass er nicht mehr auf die Bühne geht. Im Gegensatz dazu habe ich letztens Mario Adorf wieder getroffen vor seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus. Er ist 86 Jahre alt, liebt die Bühne und ist sensationell darauf.

Ein Vorbild für die kommenden Jahre?

Wecker Ich sehe mich selbst genau so. Was mich etwas mehr anstrengt als früher, ist die Rumfahrerei. Ich bin meistens mit dem Auto unterwegs und jener Willy, der ja nicht gestorben und einer meiner besten Freunde ist, macht Merchandising, fährt und hat auch an meiner Autobiographie mitgeschrieben. Aber auf der Bühne bin ich wirklich gerne, auch um zu ermutigen. Wenn ich an meine Pubertät zurückdenke: Was mich vom Selbstmord abgehalten hat, waren ja andere Dichter. Ich wusste, da ist ja noch jemand, der ähnlich verrückt denkt wie ich. Rilke war ein Gott für mich. Aber auch Georg Trakl, Georg Heym, Ernst Stadler. Die ganzen Verzweifelten, oft auch jung verstorbenen Expressionisten. Und Henry Miller, der gesagt hat: Der wahre Künstler muss Anarchist sein.

Sie bezeichnen sich selbst als Anarchisten. Was bedeutet das für Sie?

Wecker Eine Welt von Menschen, die es nicht mehr einsehen, dass jemand das Recht hat, ihnen zu befehlen. Wir können uns Vorschläge machen. Wenn jemand mehr weiß, kann er den anderen anlernen. Aber blinder Gehorsam ist immer schon die größte Torheit der Menschheit gewesen. Ich höre nicht auf zu träumen von der herrschaftsfreien Welt – und mehr noch: von der patriarchatsfreien Welt. Das Patriarchat hat versagt und die Herrschenden waren zu 99 Prozent immer die unsympathischsten, brutalsten und unempathischsten Volltrottel. Es gab überall weise Frauen und Männer, denen die menschlich Unreifsten als Herrscher gegenüber standen. Das wird heute wieder deutlich.

Man sagt über die Millennials oder die Generation Y, dass sie sich nicht mehr gern autoritären Chefs beugt, generell gern ihre persönliche Freiheit auslebt. Warum ist der Begriff „Anarchie“ trotzdem aus der Mode geraten?

Wecker Ich merke das bei der Fridays-For-Future-Bewegung, die ja viel von Frauen angeführt wird, oder auch bei meinem Söhnen, dass der anarchische Grundgedanke viel mehr als in den 1970er-Jahren vorherrscht. Leider ist der Begriff viel verspottet worden und schlecht gemacht. Heute liest man oft noch von der Gleichsetzung „anarchistischer Umtriebe“ und „Terrorismus“. Und sicher gab es in der Anfangszeit der Bewegung auch Anarchisten, die gewalttätig waren. Aber diejenigen, die mir Vorbilder waren und sind, sind für eine gewaltfreie Gesellschaft und eine gewaltfreie Revolution.

Sie hatten einen riesigen Drogenskandal und erfreuen sich trotzdem anhaltender Beliebtheit. Warum verzeiht man Ihnen alles?

Wecker Naja, in den 1970ern habe ich mal in einer öffentlich-rechtlichen Talkshow gesagt, ich sei Anarchist, und hatte dann quasi ein Jahr Auftrittsverbot im Fernsehen. Aber was den Drogenskandal angeht: Vielleicht ist es, weil die Leute merken, dass wir in einer süchtigen Gesellschaft leben. Ich habe damals wirklich unglaublichen Mist gebaut und habe versucht, es aufzuarbeiten. Mit dem Wissen, das ist jetzt habe, würde ich mir natürlich vieles von dem ersparen, aber ich hatte es damals eben noch nicht.

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