Interview: Campino und Philipp Oehmke "Wir sind nicht mehr hier, um zu spalten"

Düsseldorf · Der Sänger der Toten Hosen und der Autor der Band-Biografie "Am Anfang war der Lärm" sprechen über 30 Jahre Bandgeschichte.

Interview mit Campino von den Toten Hosen
Foto: dpa, Jan-Philipp Strobel

Das Hauptquartier der Toten Hosen im Düsseldorfer Stadtteil Flingern: lichtgeflutete Büros in ehemaligen Lagerhallen, helles Holz und viel Metall. Auf Paletten liegt stapelweise das Buch, das am Freitag erscheint: "Am Anfang war der Lärm". Der Journalist Philipp Oehmke erzählt darin 30 Jahre Bandgeschichte, den Aufstieg schräg gekleideter Jungs zur größten Rockband Deutschlands. Wie nebenbei breitet er außerdem eine Sozialgeschichte der Bundesrepublik aus - das macht das Buch so relevant. Der 40-jährige Autor sitzt mit Campino am langen Tisch im Besprechungsraum der "Hosen". Darauf stehen Schalen mit Äpfeln und Bananen. Campino isst lieber Studentenfutter. "Wenn ich einmal damit anfange, kann ich nicht mehr aufhören", sagt er. Der 52-Jährige ist gut aufgelegt, wirkt fit, lacht. Er zieht die Ärmel des Pullovers hoch, man sieht Tätowierungen.

These: In der Geschichte der Toten Hosen spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik.

Campino Wir waren die letzten Nachkriegskinder.

Oehmke Die Toten Hosen sind so, wie sie sind, weil die Eltern im Krieg waren und ihre Erlebnisse an die Kinder weitergeben haben. Das ist entscheidend für das Schaffen dieser Band.

Deutschland hat sich in den 30 Jahren seit Gründung der Band stark verändert.

Campino Man muss sich das mal überlegen: Wenn wir früher mit dem Bus zur Schule fuhren, gingen manchmal die Türen auf, und dann standen da Polizisten mit Maschinengewehren auf der Suche nach RAF-Mitgliedern. Oder die Jahre bis 1990, als wir die Transitstrecke nach Berlin benutzen mussten. Das hat uns geprägt. Es gab zwei Kennzeichen damals: Die DDR wollte immer, dass Autos aus dem Westen den BRD-Aufkleber hatten und nicht den mit dem D. Mein Vater hat aber eisenhart auf das D bestanden. Er hat auch nie auf der Transitstrecke getankt, obwohl er ansonsten ein Sparfuchs war.

Er wollte das andere System mit keinem Pfennig unterstützen?

Campino Genau. Ich habe gesagt: Vati, es ist vorbei. Wir leben mit dem anderen System, das ist jetzt so. Quasi über Nacht wurde ich 1989 eines Besseren belehrt. Ich wurde von der Geschichte abgewatscht wie ein Schuljunge. Diese Erfahrungen teilen wir in der Band miteinander.

Gegen was haben die Toten Hosen eigentlich rebelliert? Im Grunde waren die Eltern der Musiker doch gute Eltern, oder?

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Oehmke Ja, denen konnte man eigentlich nichts vorwerfen. Sie waren in den Naziterror nicht mehr verstrickt gewesen und wollten nun alles besser machen als die Generation zuvor. Sie wollten einfach eine bescheidene, aber moralisch integre Bundesrepublik aufbauen.

Und trotzdem hatten sie Kinder, die sagten: Es ist doch Mist, was Ihr macht.

Oehmke Es ging bei diesem Vorwurf nicht um moralische Schuld, sondern um ein Gefühl der Enge. Die Aufbaugeneration hatte eine Vorgarten-Welt geschaffen, die den Kindern nicht gefiel. Insofern war der Protest der Toten Hosen kein unmittelbar politischer, sondern ein habitueller.

Es gibt die rührende Szene in dem Buch, als der Vater von Andi in den 80er Jahren in einen Plattenladen geht und ein Album der Toten Hosen ganz nach vorne in den Stapel stellt. Wann war der Moment, als das Ganze kippte und die Eltern stolz waren auf die Kinder?

Campino Was wir als Terror des Elternhauses interpretiert haben oder als Willkürregime, das waren Ängste, die unsere Eltern hatten. Die haben nicht verstanden, warum wir uns plötzlich politisch definierten und anfingen, gegen Amerika zu sein. Warum wir Dinge taten, die sich nicht gehörten. Auch unser Aussehen war ja beispiellos. Und unsere Eltern waren schlichtweg überfordert und hilflos. Sie haben teilweise überzogen reagiert. Aber diese ganzen Sachen mit den Drogen waren ja auch nicht nur witzig.

Sie können heute also verstehen, wie sich Ihre Eltern Ihnen gegenüber verhalten haben?

Campino Viele Sorgen, Erziehungs- und Bestrafungsversuche kann ich inzwischen total nachvollziehen.

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Campino Erst als wir Kinder aus dem Haus waren, und die Eltern Zeit hatten zum Nachdenken, ging ihnen auf, dass das nicht nur destruktiv war, was ihre Kinder taten, sondern auch mit Lebensfreude zu tun hat. Sie sahen nun klarer: Die organisieren sich selber, die kriegen etwas hin. Von da an dachten die Eltern: Es ist nicht der von uns gewünschte Weg, aber es ist ein Weg. Bei meinen Eltern war der Schlüsselmoment, dass sie ein Konzert der Toten Hosen besuchten. Vorher wussten sie nicht, was wir da genau machen.

Als sie Sie auf der Bühne sahen, waren sie von Ihrem Tun überzeugt?

Campino Nicht von der Musik oder unserer Performance. Aber von der Freude des Publikums. Sie waren überzeugt davon, dass das im Grunde positiv war, was wir taten.

Oehmke Da ist noch ein anderer Punkt. Die Aufbaugeneration war fixiert auf Erfolg. Und als die Toten Hosen Erfolg hatten, merkten die Eltern auf.

Haben die Toten Hosen mitgeholfen, Deutschland zu verändern?

Oehmke Die Toten Hosen waren für das Mainstream-Deutschland Mitte der 80er Jahre das erste weithin erkennbare Zeichen für einen anderen Lebensentwurf. Der Protest der Achtundsechziger hatte sich in den 70ern in so einer Müsli-Gemütlichkeit eingerichtet. Die Tatsache, dass sich das, was die Toten Hosen vorlebten, in den 90ern in Deutschland etabliert hat als eine Nebenströmung unserer Mehrheitsgesellschaft, ist für mich ein Beleg, dass sie dieses Land tatsächlich verändert haben.

Campino Ich sehe es so: Das Land hat uns verändert.

Inwiefern?

Campino Unsere eigene Beklommenheit mit dem Begriff Deutschland wurde uns genommen. Unsere Karriere hat uns in andere Länder getragen, und im Ausland haben wir begriffen, dass wir eine deutsche Band sind. Wir sind Botschafter unseres Landes geworden. Und ich glaube, ich habe Deutschland nie so gut verteidigen können wie weit weg von zuhause. Selbst wir Flegel, die wir damals waren, haben uns dort gut benommen, weil sonst jeder gesagt hätte: Guck mal, die deutsche Band! Wir haben versucht, ein anderes Bild von Deutschland zu zeigen.

Dennoch: Nach dem Gewinn des WM-Titels wurde die deutsche Mannschaft in Berlin gefeiert. Hunderttausende waren da. Aber nicht die Toten Hosen, obwohl es das Angebot gab, dort "Tage wie diese" zu spielen. Warum lehnten Sie ab?

Campino Ich habe einfach den Eindruck gehabt, das war nicht unsere Party. Sich da drauf zu setzen, hätte etwas ganz und gar Unbescheidenes gehabt: Man feiert diesen tollen Moment, und wir kommen daher und meinen, dem Ganzen die Krone aufsetzen zu müssen.

Ist das auch die Angst der Toten Hosen, dass jemand Ihre Lieder singt, der sie nicht singen soll? Etwa die CDU im Wahlkampf?

Campino Ich glaube, dass jeder, der ein Lied rausbringt, damit rechnen muss, dass es ein Eigenleben führt. Deshalb muss man das Lied freigeben und loslassen können. Ich habe überhaupt nicht das Recht zu bestimmen, wer das hören darf und wer nicht. Unbehagen spüren wir aber, wenn das Lied in Zusammenhang mit Werbung gebracht wird. Und ich unterstelle, dass eine Wahlkampfveranstaltung werblich ist. Da können wir das Lied gleich an eine Autofirma geben als Untermalung für einen Werbefilm.

Es ist Ihnen also nach wie vor nicht komplett egal, wer Ihnen applaudiert?

Campino Es gibt so etwas wie Applaus von der falschen Seite. Oder Situationen, in denen man sagt: Jetzt wird es wacklig. Als ich hörte, Helene Fischer spielte "Tage wie diese" auf ihren Konzerten, dachte ich: Oh, nein. Aber im selben Moment erinnerte ich mich, dass wir mal diese Platte gemacht haben, auf der wir Schlager in Punk-Versionen eingespielt hatten. Da dachten die Komponisten bestimmt auch: Oh, nein.

Sie sorgen sich um Ihren Song wie ein Vater um sein Kind.

Campino Wir tun so, als würden wir es nicht eng sehen, aber unter vier Augen kann ich es Ihnen ja sagen: Wir sehen es eng. Als Fan komme ich aus einer Generation, der es wichtig ist, wer der Interpret eines Liedes ist. Ich kann ein Lied nicht gut finden, wenn ich den Interpreten nicht mag. Es war für mich wichtig, dass The Clash "London Calling" gesungen haben. Ich wusste, wer die sind, woher die kamen und was sie damit meinen. Aber wenn ein Idiot dasteht, der das zwar singt, aber gar nicht lebt oder meint, was er behauptet, dann wäre dieses Lied für mich wertlos, dann würde ich das nicht mehr hören. Heute geht es vielen anders. Ich bin da ein bisschen altmodisch. Ich will nicht den Zeigefinger ausfahren. Aber bei mir ist Musik inhaltlich besetzt, und ich definiere mich darüber.

Zeigt der Konflikt, dass Sie dort angekommen sind, wo sie nie hin wollten? In die Mitte der Gesellschaft.

Campino Es ging uns nie darum, unter allen Umständen die Mitte der Gesellschaft zu vermeiden. Wahrscheinlich machen wir uns manchmal das Leben selber schwer, ja. Aber was ist der Gegenentwurf? Über gar nichts mehr nachdenken? Das ist bei uns eine Sache der Erziehung, ständig noch mal zu justieren und zu fragen, ob der Weg noch okay ist, den wir da gerade beschreiten. Und auch wenn es mühevoll ist, hat es uns nicht geschadet, diese Fragen zu erörtern.

Oehmke Ich glaube, dass es die Band so lange gibt, weil sie sich immer wieder auch quälend darüber berät, wo sie jetzt gerade steht.

Das Land hat sich liberalisiert. Für die Hosen ist das nicht nur gut, oder?

Oehmke Die haben sich wohlgefühlt als Außenseiter. Und jetzt müssen sie in der Mitte klar kommen.

Campino Moment mal. Wir könnten das heute gar nicht mehr anders. Wir haben nicht mehr die Kraft, Naivität und Jugend, um ständig diese Anti-Positionen zu beziehen. Das wäre eine Lüge. Die Zeit hat uns das glücklicherweise in die Karten gespielt. Wir sind nicht mehr hier, um zu spalten. Das waren wir mal, das wollten wir. Aber heute wollen wir verbinden.

(RP)
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