Ben Becker "In jedem von uns steckt ein Judas"

Düsseldorf · Für drei Tage wird der Schauspieler und Rezitator in der evangelischen Johanneskirche aus seinem erfolgreichen Judas-Programm lesen - mit Texten des israelischen Schriftstellers Amos Oz sowie von Walter Jens.

 Ben Becker bei den Proben zu "Ich, Judas" im Berliner Dom. Kommende Woche ist der Schauspieler in Düsseldorf zu Gast.

Ben Becker bei den Proben zu "Ich, Judas" im Berliner Dom. Kommende Woche ist der Schauspieler in Düsseldorf zu Gast.

Foto: dpa

Als christlich möchte er sich nicht bezeichnen, doch an Fragen zur Menschheit und zum Sinn des Lebens ist er immer interessiert: Ben Becker. Der 52-jährige Schauspieler und tiefstimmige Rezitator wird in Düsseldorf erneut mit seinem Programm "Ich, Judas - Einer von euch wird mich verraten!" zu erleben sein. Im vergangenen Jahr waren sämtliche Becker-Auftritte mit dem Programm ausverkauft. Nun kommt er für drei Tage in die große evangelische Johanneskirche. Schon früher konnte der gebürtige Bremer mit inszenierten Lesungen aus der Bibel große Erfolge feiern - etwa auf dem Katholikentag in Osnabrück vor sieben Jahren. Diesmal hat Becker die Regie selbst geführt. Und die Texte stammen von zwei großen literarischen Kennern und Deutern der Heiligen Schrift: vom israelischen Autor und Heine-Preisträger Amos Oz sowie von Walter Jens (1923-2013).

Warum sind so viele Menschen von der Judas-Geschichte bis heute fasziniert?

Becker Anscheinend sind die Leute nicht so doof und können mit den Fragestellungen in diesem gar nicht so leichten Text etwas anfangen. Vor allem liegt das an der Schuldfrage - also: Wer ist schuld an was? Und das besonders in der heutigen Zeit, in der alle so ein bisschen Angst haben vor dem Rechtsruck und der Radikalisierung in so vielen Ländern. Dazu zählt auch die Flüchtlingsproblematik, die unter anderem aus dem Land kommt, in dem unsere Geschichte ihren Ursprung hat. Viele fragen sich, ob sie auch selbst Schuld tragen.

Steckt demnach in irgendeiner Form ein Judas in jedem von uns?

Becker Ich denke ja, ich habe jedenfalls das Gefühl.

Sind Figuren, die in ihrer Lebensgeschichte Brüche und Schuld begangen haben, nicht immer spannender als ungebrochene Helden?

Becker Wo bitte gibt es denn noch ungebrochene Helden?

Im Märchen beispielsweise.

Becker Das stimmt. Ich habe mich immer für Auseinandersetzungen interessiert. Wie gehen Menschen miteinander um, wie funktioniert Gesellschaft, warum segelt jemand mit einer Yacht und sechs leichten Damen durchs Mittelmeer, und warum kommt eine Frau mit ihrem Kind an der Brust zu Fuß über den Balkan zu uns, um dann in Rostock in Form eines Molotowcocktails "schöne" Weihnachtsgrüße zu kriegen? Als Theatermensch beobachte ich all diese Sachen und setze mich mit ihnen auseinander. Leicht verdauliche Kost war noch nie mein Ding.

Manche Theologen sagen, dass Judas wahrscheinlich nicht schuldig ist, weil er als Werkzeug Gottes Jesus verraten musste, um damit die ganze Passionsgeschichte erst in Gang zu setzen.

Becker Na ja, da wäre ganz viel nicht in Gang gekommen; übrigens auch kein Martin Luther. Selbst in seiner Verteidigungsrede kommt mir Judas manchmal vor wie ein Hamster im Rad. Ich gebe keine Antworten, und die gibt auch Walter Jens nicht in seiner wunderbaren Textvorlage. Es wird nur manches in Frage gestellt. Und das reicht für einen Theaterabend. Antworten wären vermessen, ich bin ja kein Politiker.

Schlägt der Judas-Text auch eine Brücke zum US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump?

Becker Das Schuldthema wird da schon aktuell. Also, wie schnell zeigt man jetzt mit dem Finger auf jemanden anderer Religionszugehörigkeit und sagt, Du kommst nicht rein in unser Land. Das ist natürlich auch eine Art Schuldzuweisung.

Man kann das Gefühl bekommen, dass religiöse Stoffe - wie jüngst auch das Pop-Oratorium zu Martin Luther - heutzutage immer öfters auf der Bühne als in der Kirche dargestellt werden.

Becker Na ja, ich spiel ja in der Johanneskirche. Und übrigens finde ich es ganz toll, dass ich in Düsseldorf ein zweites Mal eingeladen worden bin. Damit hätte ich nicht gerechnet.

(los)
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