Manuel Göttsching "In der Popmusik entsteht nichts Neues"

Düsseldorf · Der 65-Jährige führt seine Komposition "E2 E4" in der Tonhalle auf. Sie wurde - vom Künstler unbeabsichtigt - zur Urschrift des Techno.

 Manuel Göttsching wurde mit der Band Ash Ra Tempel bekannt.

Manuel Göttsching wurde mit der Band Ash Ra Tempel bekannt.

Foto: Agentur

Manuel Göttsching gehört zu jener Generation deutscher Musiker, die in den 1970ern unter der Genrebezeichnung "Krautrock" in ungehörte kosmische Bereiche vorstieß und dafür vor allem im Ausland verehrt wird. Als der englische "Guardian" den Berliner jüngst porträtierte, lautete die Überschrift "The Göttfather". 1970 gründete Göttsching mit Klaus Schulze die Gruppe Ash Ra Tempel. 1984 veröffentlichte er das 60 Minuten lange Stück "E2 E4". Es inspiriert bis heute Musiker wie LCD Soundsystem und gilt als Urschrift des Techno. Am 16. November führt Göttsching es im Rahmen des Festivals "Die Digitale" in der Tonhalle auf.

Der Musikmarkt ist sehr nostalgisch. Vor allem Neuauflagen von Platten aus den 70er Jahren werden heftig bejubelt. Woran liegt das?

Göttsching Das war eine interessante Zeit. Es ging um Politik, Folk, Rock und Elektronik. Sehr kreativ und vielseitig. Und neben viel Blödsinn sind tolle Sachen entstanden. Die Musiker wollten eine eigenständige deutsche Musik etablieren. Die Kultur lag ja nach dem Krieg am Boden, und erst in den 1960ern kam eine Generation, die etwas Verrücktes machte. Das Meiste war selbstgebastelt, niemand machte das, um Geld zu verdienen oder einen Markt zu bedienen. So hatten auch Sachen eine Chance, die anderswo wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit wohl nicht erschienen wären.

Für ihr Stück "E2 E4" werden Sie heute als Techno-Pionier verehrt.

Göttsching Ja, verrückt.

Warum verrückt?

Göttsching In Deutschland gab es zunächst nur üble Reaktionen auf "E2 E4". Ein Rezensent empfahl mir, Depeche Mode zu hören, die würden das richtig machen. Später habe ich erfahren, dass Daniel Miller, der Manager von Depeche Mode, zu einem unserer Ash-Ra-Konzerte nach London gekommen war, weil unsere Musik eine so große Inspiration für ihn darstellte. Der Erfolg des Stücks kam über Amerika. Dort wurde es in den Clubs gespielt. Ich konnte mir das erst nicht vorstellen, weil man doch gar nicht dazu tanzen kann. Es gibt ja nicht mal eine Bassdrum.

Hatten Sie Kontakt zur Clubszene?

Göttsching Das ist nicht meine Welt. Meine Musik ist die Minimal Music von Steve Reich und Terry Riley. Das Repetitive dieser Musik wollte ich mit elektronischen Mitteln umsetzen. Der New Yorker DJ Larry Levan hat "E2 E4" dann im Club "Paradise Garage" gespielt - in voller Länge. So ging es um die Welt.

Sie haben früh mit Synthesizern experimentiert. Welche Rolle spielt die Technologie für Ihre Musik?

Göttsching Schon eine große Rolle. Aber letztlich ist allein die Musik wichtig. Die ist gut, wenn man sie pfeifen oder auf dem Kamm blasen kann. Mich hat allerdings immer interessiert, was man mit neuen Technologien machen kann. Es geht mir dabei aber nicht um Klangforschung, sondern stets um die Musik. Um Dramaturgie etwa. Und die ist bei "E2 E4" sehr gut, damit bin ich noch heute sehr zufrieden.

Sie haben "E2 E4" erst drei Jahre nach der Entstehung 1981 veröffentlicht. Konnten Sie es nicht verkaufen?

Göttsching Ich hatte einen Vertrag mit Virgin. Die waren in kurzer Zeit zu einer Mainstream-Firma geworden. Ich befürchtete, sie würden mein Stück im Keller verstauben lassen: zwei Akkorde, die sich abwechseln - über 60 Minuten hinweg! Ich kannte Virgin-Chef Richard Branson gut. Dem spielte ich das Stück vor. Er hatte gerade sein Baby im Arm, und es schlief zur Musik ein. Branson sagte: Damit kannst Du ein Vermögen machen! Er hätte es also gekauft. Aber ich habe anders entschieden und es bei dem Label von Klaus Schulze herausgebracht.

Warum sind Wiederholungen so schön in der Musik?

Göttsching Weil Musik eine einzige Wiederholung ist. Ein Ton ist eine Welle und basiert auf der Wiederholung einer Kurve. Der simpelste elektronische Ton basiert auf einer Sinuskurve. Wiederholungen haben eine Magie, sie ziehen in die Musik hinein.

Wie funktioniert "E2 E4" live?

Göttsching Ich bin alleine, das ist ja ein Solostück. Im Original habe ich das ganze Tonstudio benutzt. Die Aufnahme ist in einer Stunde entstanden, und danach habe ich daran nichts mehr verändert. Ich brauchte Sequenzer, Tonbandgeräte und Synthesizer. Heute benutze ich die Software Ableton, die es mir ermöglicht, das alles am Computer zu ersetzen. Ich verwende Originalteile des Stücks und lege dazu aktuelle Sounds aus dem Laptop, die ich live bearbeite. Ich brauche also Laptop, Keyboard und Gitarre. Das genügt.

Wie bewerten Sie aktuelle Musik?

Göttsching Ach, allzu viel entwickelt sich gerade nicht. Wenn Sie sich früher einen Mini-Moog gekauft haben, kostete der so viel wie ein VW Käfer. Und dann hatte man den Mini-Moog zuhause, und da kam erstmal kein Ton raus. Also musste man experimentieren. Heute kostet ein Keyboard 100 Euro, es ist alles programmiert, und sie können sofort anfangen. Aber was die Leute da rausholen, geht immer in Richtung Dance Music. Ich vermisse so etwas wie die Minimal Music, etwas Neues, eine Erfindung. Das kann man alles machen heute. Aber die Leute machen es nicht.

PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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