Gastbeitrag Hagen Lippe-Weissenfeld Immer mehr Baustellen in der Kultur
Düsseldorf · Die Kulturszene ist bunt und vielfältig, der Kulturetat mit rund 125 Millionen Euro ansehnlich. Kritik gibt es dagegen an der Kulturpolitik.
Seit Monaten beschäftigt sich die Düsseldorfer Kulturpolitik fast nur mit sich selbst, sucht nach Wegen in die Zukunft, nach Perspektiven und Visionen. Als scheinbar praktikables Hilfsmedium hat sich die Kommunalpolitik die Erarbeitung eines Kulturentwicklungsplans verordnet. Über die Herausforderungen und Chancen einer vitalen Kulturpolitik, die Notwendigkeit, Erstarrungen zu überwinden und durch neue Allianzen einen Aufbruch zu ermöglichen.
Wer von außen auf Düsseldorf schaut, fragt sich zuweilen, warum die Debatte zur Zukunft der Kultur in der Landeshauptstadt seit Monaten so blutleer und wenig visionär vor sich hin plätschert. Sind ungelöste finanzielle, personelle, strukturelle oder inhaltliche Themen die Ursache für den wahrnehmbaren Stillstand? Und warum werden die Baustellen in der Kultur gefühlt täglich eher mehr als weniger?
Bei nüchterner Betrachtung scheinen die Voraussetzungen für eine prosperierende Kulturszene günstiger denn je zu sein: Die Szene ist bunt und vielfältig, der Kulturetat mit rund 125 Millionen Euro vergleichbar ansehnlich, die Kulturschaffenden engagiert, die kulturelle "Wertschöpfungskette" mit Blick auf die zahlreichen Künstler, Galerien, Freie Szene, Institute, Sammler, Kunstinteressierten nahezu vollständig. Was für ein ideales Fundament für eine erfolgreiche Kulturpolitik - sollte man meinen!
Stattdessen diagnostizieren wir das Phänomen rätselhafter Erstarrung. Deren Ursache ist womöglich sogar gesamtgesellschaftlicher Natur: Ökonomisierung und Globalisierung lassen uns Menschen Veränderungen oder Kontroversen scheuen. Die Sehnsucht nach Orientierung, Ordnung und Sicherheit, der Wunsch nach Bestätigung des Vertrauten sind uns in bewegten Zeiten leider oft wichtiger als der Drang nach Veränderung oder der Mut zu visionärer Gestaltung. Hier und jetzt könnte die Stunde der Kunst und Kultur schlagen: um auf die Straßen und Plätze dieser Stadt zu gehen, um den lange vermissten Dialog mit Politik und Zivilgesellschaft zu eröffnen und voller Leidenschaft grundsätzliche Debatten anzustoßen.
Wie soll unsere Stadtgesellschaft aussehen? Welche Aufgaben soll wer übernehmen? In welchem Verhältnis stehen institutionalisierte und freie Kunst? Welche Abhängigkeiten müssen aufgelöst werden, um neue Dynamik freizusetzen?
Wenn der Kulturentwicklungsplan eines zur Folge hätte, nämlich eine bessere Vernetzung und einen dauerhaften, lebhaften Diskurs der Kulturschaffenden untereinander, aber auch und insbesondere als stark formierte und dadurch sprachfähige Gruppe in die Gesellschaft und Politik hinein, dann wäre das schon erfreulich. Ambitionierte Teilnehmer des Verfahrens würden sich aber noch mehr Output dieses aufwändigen Prozesses wünschen. Zum Beispiel die Beantwortung der Frage, wie wir mit der künstlerischen Vielfalt umgehen, die von außen schwer erfassbar ist. Oder, wie sich die Kultur so mit anderen Politikbereichen vernetzt, dass ihr daraus neue Problemlösungskompetenzen in wirtschaftlichen, organisatorischen, Vermittlungs- oder Bauunterhaltsfragen erwachsen.
Eine couragierte, führungsstarke Kulturpolitik hätte also in diesen Umbruchzeiten beste Chancen, die systemische Erstarrung aufzubrechen. Was spricht dagegen, die Museumsszene als Verbund etwa nach Berliner, Münchner oder Dresdner Vorbild organisatorisch neu aufzustellen, sie zu stärken durch einen Generaldirektor als Gesicht der Museen? Und ihm dann die Museumsdirektoren als Leiter der einzelnen Häuser zuzuordnen. Dazu ließe sich eine kaufmännische Zentraleinheit schaffen, in der bestimmte rein administrative Aufgaben effizient gebündelt werden: Marketing, Fundraising, Personalentwicklung, IT, Technik, Bauunterhalt - alles Aufgaben, die Künstler oft zu Recht als Ballast empfinden. In der Folge würden durch die Straffung Finanzmittel frei, die zu 100 Prozent in die künstlerische Arbeit reinvestiert werden könnten. Inhaltlich verlöre kein Haus seine Eigenständigkeit. Im Gegenteil, die klare Definition, welches Haus für welchen Inhalt steht, würde ihrer Profilbildung dienen. Die Gesamtkoordinierung durch einen Generaldirektor macht die Inhalte nach außen viel leichter kommunizierbar und erhöht die Strahlkraft der Kunst- und Kulturstadt Düsseldorf spürbar.
Die Kulturverwaltung könnte sich auf die dringend notwendige, strategische Aufgabe konzentrieren, Kunst und Kultur mit anderen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Stadtmarketing usw. schnittstellenfähig zu machen: beseelt von der Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, um voneinander zu lernen. Wenn Kulturpolitik als "Think tank" ständig vorausdenkt und selbstbewusst den Dialog mit spannenden Partnern sucht, würde sie jeden Tag ihre Relevanz unterstreichen. Nur wer hier proaktiv und neugierig auf Entdeckertour geht, wird die Kultur wieder in der Mitte der Gesellschaft verorten und ihr die Stellung zurückerobern, die ihr zusteht: unverzichtbar, streitbar, visionär! Man möchte allen Beteiligten zurufen: Verlasst Eure altbekannten Positionen in der Komfortzone, praktiziert den Schulterschluss, um als starke Gruppe sprachfähig zu werden!
Lieber Herr Oberbürgermeister, befördern Sie bitte die Kultur mit gleicher Leidenschaft und Empathie wie den Sport! Lieber Herr Kulturdezernent, verstehen Sie bitte Ihre Rolle als oberster Ermöglicher und verwandeln Sie dafür Ihr Kulturamt in ein dynamisches Dienstleistungs- und Servicecenter! Liebe Ratsmitglieder, sehen Sie bitte die Potenziale der Kultur für die Inspiration anderer Politikbereiche dieser Stadt und opfern Sie sie nicht auf dem Altar der Parteipolitik! Liebe Kulturschaffende, diskutiert bitte nicht mehr nur im Schleier der Anonymität, sondern geht auf Eure Partner zu und sucht mutig und selbstbewusst den offenen Diskurs mit Politik und Verwaltung! Wo, wenn nicht in der Kultur, lassen sich am ehesten Experimente wagen?
Kultur darf sich nicht gefällig machen - sie muss Stachel im Fleisch der Gesellschaft sein!