Interview mit Thomas Quasthoff "Ich kann nicht so gut singen wie Pink"

Düsseldorf · Ein Jahr nach seinem Abschied als Sänger kehrt der Bass-Bariton am Donnerstag als Rezitator auf die Bühne im Robert-Schumann-Saal zurück.

 Thomas Quasthoff

Thomas Quasthoff

Foto: dpa, Jörg Carstensen

Im Oktober 2011 wollte Thomas Quasthoff in der Tonhalle singen. Das Konzert wurde jedoch abgesagt, denn der Bass-Bariton beendete aus gesundheitlichen Gründen seine Karriere. Am Donnerstag kann man ihn dennoch in Düsseldorf erleben: Der 53-Jährige spricht um 20 Uhr im Robert-Schumann-Saal die Rolle des Erzählers in der "Schönen Magelone". Ludwig Tieck verzierte jedes Kapitel seiner märchenhaften Liebesgeschichte aus dem Jahr 1797 mit einem Lied. Bariton Florian Boesch wird die Lieder vortragen. Justus Zeyen begleitet ihn am Klavier.

Sie haben sich eine schöne Geschichte ausgesucht: "Die schöne Magelone". Ludwig Tieck, Romantik.

Quasthoff Herrlich kitschig! Die Geschichte zeigt, wie stark Musik und Leben verwoben sein können.

Wo liegt der Unterschied zwischen Singen und Erzählen?

Quasthoff Eigentlich gibt es keinen. Ich versuche, genauso farbenreich zu lesen, wie ich versucht habe, farbenreich zu singen. Verständlichkeit inklusive: Die Leute sollen verstehen, was ich vortrage, das war mir immer wichtig. Einziger Unterschied: Ich habe nun wesentlich weniger Stress.

Was hat uns die Epoche der Romantik heute noch zu sagen?

Quasthoff Romantik kann in einer Zeit der großen Kälte in ehrlichster Art und Weise an unsere Gefühle appellieren. Die Romantik erinnert an Werte, die uns verloren gehen. Musik verändert diese Welt nicht, aber sie trägt etwas Schönes bei. Wenn jemand lachen, weinen, sich freuen oder besinnlich sein will, dann soll er einen Abend mit romantischer Musik erleben.

Manche Menschen hängen ihr Herz an Popschnulzen. Verstehen Sie das?

Quasthoff Nein. Oder was meinen Sie mit Popschnulzen?

Die Beatles etwa.

Quasthoff Die Beatles habe ich gehört und geliebt. Das ist sehr anspruchsvolle Unterhaltung. Probleme habe ich mit wirklich flacher Musik. Schlager. Noch schlimmer finde ich bestimmte Geiger, die Klassik verpoppen und meinen, sie sind die größten Musiker der Erde.

Sie denken sicher an David Garrett.

Quasthoff Hm.

Den haben Sie bereits genannt, als Sie bei Ihrem Rückzug beklagten, die Klassik-Branche sei doch sehr oberflächlich geworden. Was haben Sie gegen ihn?

Quasthoff Ich gönne diesem Jungen den Erfolg von ganzem Herzen.

Aber?

Quasthoff Wenn das, was er machen würde, wirklich gut wäre, ginge es ja noch. Aber Klassik verpoppen, und dann auch noch schlecht verpoppen? Da hört es auf.

David Garrett ist doch so begabt.

Quasthoff Kein Widerspruch.

Manche sagen: hochbegabt.

Quasthoff Es gibt bessere Geiger. Mit Verlaub. Sehr viel bessere Geiger sogar.

Sie werfen David Garrett aber nicht seinen Erfolg vor, oder?

Quasthoff Man muss doch für Erfolg nicht alles preisgeben: Anspruch, Qualität, Stilempfinden.

Aber Garrett wirkt doch als . . .

Quasthoff Also ehrlich! Der hat alles preisgeben!

. . . als Türöffner für Menschen ohne Berührung zur Klassik. Wie Peter Hofmann in den 80er Jahren.

Quasthoff Das war genauso eklig.

Er hatte aber Wirkung.

Quasthoff Nicht falsch verstehen, bitte. Ich habe ja selber Pop gemacht. Aber ich konnte es. Das bilde ich mir nicht nur ein.

Sie interpretierten auf Alben wie "Tell It Like It Is" notariell beglaubigten Qualitäts-Soul. Garrett hat den Mut, aktuelle Hits zu spielen.

Quasthoff Ich habe auf der CD nicht geklungen wie ein klassischer Sänger. Das ist der feine Unterschied. Entweder ich wahre den Stil von dem, was ich da mache, oder aber. . . (stöhnt) Also, wenn ich Popsongs mit so einer Klassik-Geige höre, das tut mir leid, das zieht mir die Schuhe aus. Ich kann es nicht ertragen.

Von einer Künstlerin wie Pink haben Sie nichts gesungen. Zum Beispiel.

Quasthoff Ich meine ernst, was ich jetzt sage: Ich kann nicht so gut singen wie Pink. Die singt nämlich wirklich richtig gut. Das ist eine mutige Künstlerin. Sie stellt sich hin und sagt: Mr. Bush, was Sie da machen, ist großer Mist. Suchen Sie mal im Internet das Lied "Dear Mr. President", das ist ganz groß. Davor ziehe ich die Mütze. Aber ich höre sowieso eine andere Stilrichtung.

Nämlich?

Quasthoff Schwarze Musik vor allem. Stevie Wonder ist mein Gott. Von dem habe ich mehrfach etwas gesungen. Oder hören Sie sich Dr. John an. Den kennt in Deutschland kaum jemand. Aber das ist große Musik, der Vorläufer von Tom Waits.

Sie mögen Dr. John? Wirklich?

Quasthoff Aber selbstverständlich! Ich bitte Sie! Den hat mir mein zwei Jahre älterer Bruder früher gegeben. Wir hatten eine ungewöhnlich enge und liebevolle Brüderschaft. Das war ein unfassbarer Verlust, als er vor zwei Jahren gestorben ist.

Als Sie Ihren Abschied von der Bühne bekannt gaben, dachte ich: Jemand wie Thomas Quasthoff kann doch nicht aufhören, Lieder zu singen.

Quasthoff Doch, kann er.

Sicher singen Sie daheim.

Quasthoff Natürlich singe ich, täglich sogar, etwa in der Hochschule. Aber ich hatte keine Lust mehr auf den Stress, die viele Reiserei.

Sie hatten gesundheitliche Probleme.

Quasthoff Ich habe einen sehr angegriffenen Rücken. Sie dürfen meine Belastung nicht vergessen. Ich habe ein zu kurzes Bein, und ich muss Ihnen nicht erzählen, wie die Wirbelsäule nach 53 Jahren aussieht. Es gab einen Orthopäden, der mir als 13-Jährigem prophezeit hat, ich werde mit 30 im Rollstuhl sitzen. Ich wollte rechtzeitig aufhören. Das habe ich geschafft. Nun kann ich mich zurücklehnen und gucken, wie gleichaltrige Kollegen es machen.

War die Zeit nach dem Rückzug schmerzhaft?

Quasthoff Ich hatte das ja mit meiner Frau besprochen. Aber es gab einen Abend, da hörte ich Mahlers "Lied von der Erde" live. Mir kullerten die Tränen, weil ich dachte, das singst du nie wieder. Meine Frau saß neben mir und sagte: Tommy, es wird alles gut. Danach habe ich solche Gefühle nie wieder gehabt.

(RP/ila)
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