Düsseldorf Herr Kwant steuert die Welt

Düsseldorf · Uraufführung im Central: Philipp Löhles sarkastische Komödie "Die Mitwisser" zeigt, wie sehr wir Marionetten von Algorithmen sind.

Herr Kwant ist da! Das junge Ehepaar Theo und Anna Glass strahlt in seinem edlen, charakterlosen Wohnzimmer vor Glück, als der Herr im schwarzen Anzug die Bühne betritt. Schließlich ist er für sie ein Hoffnungsträger. Und die Hoffnung auf ein leichteres Leben erfüllt sich sofort. Herr Kwant bereitet den beiden wie gewünscht einen Latte macchiato und einen Cappucino zu, und als er die Milch durch einen Strohhalm am Mund aufschäumt, erntet er im Publikum die ersten Lacher.

So harmlos Philipp Löhles Stück "Die Mitwisser" beginnt, das jetzt als Uraufführung im Central des Düsseldorfer Schauspielhauses zu erleben war, so sehr geht es am Ende ums Ganze: um die Frage, wie lange der Mensch noch von sich wird behaupten können, er sei ein Geschöpf mit freiem Willen und nicht nur eine Marionette von Algorithmen.

Theo Glass ist von Beruf Enzyklopädist, einer, der Artikel für Artikel das Wissen der Welt zusammenträgt und dabei in scharfem Wettstreit mit Kollegen steht, die in ihrem Job noch mehr Tempo vorlegen als er. Merkwürdig nur, dass auf seinem Schreibtisch am Rande der Bühne weder Laptop noch Handy einen Platz haben, sondern nur Aktenordner und Festnetztelefon. Doch das ist der Witz des Stücks: Es handelt von Wikipedia, Google, Amazon und Facebook, obwohl es äußerlich im Analogen verharrt.

Der Ernst der Lage - der elektronisch überwachte, in seinen Handlungen vorhersehbare Mensch - mischt sich in den "Mitwissern" von vornherein mit Klamauk. Florian Lange tickt als Kwant von Zeit zu Zeit aus, wiederholt in Endlosschleife eine Wortfolge oder zerreißt einen Blumenstrauß. Seine Bewegungen sind seltsam eckig, und schon früh wird klar, dass diesem Kwant ein Roboter innewohnt. Demgegenüber spielt Sebastian Tessenow seinen Theo mit der Elvis-Tolle als Gefühlsmenschen und Frauenheld, der gleichwohl mit seiner Angetrauten ein Kind zeugen will. Tanja Schleiff als seine Ehefrau hat es auch in der Bettszene des Stücks nicht leicht im Schatten dieses Menschen, der gern im Mittelpunkt steht. Lou Strenger, eine attraktive Kollegin von Theo, hebt sich daraus durch Koketterie hervor. Als schleimiger Nachbar, den es immer wieder nach Theos Kreditkarte verlangt, macht Alexej Lochmann eine spaßige Figur.

Während Kwant immer wieder das Stereotyp "Gefällt mir" ausspuckt und im Hintergrund Videoszenen von der kleinstädtischen Villengegend über das Armaturenbrett eines Autos bis zum Großraumbüro einander abwechseln, zieht Regisseurin Bernadette Sonnenbichler die Schlinge um Theo unmerklich zu. Noch verkündet er stolz "Wir verwalten das Weltwissen", da macht sich schon immer mehr Kwant breit, der Theos Arbeit längst übernommen hat. Zu Kwant tritt ein weiterer Kwant hinzu, beide tanzen gespenstisch über die vernebelte Bühne. Und es werden noch mehr Kwants, alle im schwarzen Anzug, alle bereit, die Steuerung der Welt zu übernehmen. Theo ist am Ende nur noch als Ehrenamtler gefragt, wie die Mitarbeiter von Wikipedia.

Und dann kommt doch noch ein Handy ins Spiel. Die Handlung wird unterbrochen, die Zuschauer sind aufgefordert, ihr Mobiltelefon einzuschalten und zu warten, ob es bei ihnen klingelt. Es klingelt zwei Plätze neben dem Rezensenten. Der junge Mann wird auf die Bühne gebeten und bekommt dort die Eckdaten seines Lebens erzählt, zusammengetragen aus der Vernetzung digitaler Spuren, die er bei Banken oder als Theaterabonnent hinterlassen hat. Der Kandidat wirkt so verdattert, dass man ihn glatt für einen Zufallstreffer halten könnte.

Der Schluss des turbulenten Stücks, das in seinem Wesen an Goethes "Zauberlehrling" erinnert, wirkt etwas zusammengestückelt. Theo hebt auf dem Videoschirm zu einer pathetischen Rede wider die Beherrschung der Menschheit durch Algorithmen an. Dann erscheint er wieder live auf der Bühne, mit jenem Kind auf dem Arm, das er sich so sehnlichst gewünscht hatte und dem er nun viel Zeit widmen kann. Denn seine Arbeit verrichten längst die Kwants. Und Theo stillt das Baby. Klamauk.

Das Premierenpublikum beklatschte vor allem die Ausgelassenheit der Darsteller. Sie hatten den "Mitwissern" höchst vergnügliche Seiten abgewonnen.

(B.M.)
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