"Der weiße Abgrund Unendlichkeit" in Düsseldorf Bilder einer Ausstellung

Düsseldorf · Rundgang mit Günther Uecker und Marion Ackermann durch "Der weiße Abgrund Unendlichkeit" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

 Günther Uecker und Marion Ackermann sprechen über Kunst: Für das radikalste Bild halten sie Malewitschs „Suprematismus“ (o.l.), das Schwarz schwebt auf dem Weiß bei Malewitschs Werk „Schwarzes Quadrat“ (u.l.); rechts im Bild Mondrians „Rautenkomposition“ von 1938.

Günther Uecker und Marion Ackermann sprechen über Kunst: Für das radikalste Bild halten sie Malewitschs „Suprematismus“ (o.l.), das Schwarz schwebt auf dem Weiß bei Malewitschs Werk „Schwarzes Quadrat“ (u.l.); rechts im Bild Mondrians „Rautenkomposition“ von 1938.

Foto: Endermann, Andreas

Die Nagelreliefs haben ihn berühmt gemacht. Günther Uecker (84) entdeckte Ende der 1950er Jahre den Stahlnagel als verlängerten, das Papier durchschlagenden Stift, mit dem er über die zeichnerische Struktur hinaus der Fläche eine räumliche Dimension verlieh. In seinem Werk spielt Weiß eine wichtige Rolle. Ohne weißen Untergrund würden Ueckers Nägel in weich geformter Reihung nicht ihre Schatten werfen. Weiß ist für den Künstler mehr als eine Trägerfläche auch ein Verweis auf weitere Dimensionen. "Weiß ist für mich der geistige Raum", sagt Günther Uecker. "Eine weiße Welt", so glaubt er, "ist eine humane Welt, in der der Mensch seine farbige Existenz erfährt, lebendig sein kann. Der Zustand Weiß kann als Gebet verstanden werden, in seiner Artikulation ein spirituelles Erlebnis sein."

Nun ermuntert den bedeutenden in Düsseldorf lebenden Künstler Marion Ackermann zum Gespräch über diese Farbe, die wie Schwarz und Grau eine Unfarbe ist, die aus der Addition von Spektralfarben entsteht und die in der sinnenfrohen Ausstellung "Der weiße Abgrund Unendlichkeit" eine zentrale Rolle spielt. Ackermann und Uecker, die Ausstellungsmacherin und der Künstler, durchwandeln die Schau mit Schlüsselwerken der Avantgarde. Sie wollen über das Weiß in der Malerei diskutieren. Das Beste von Kandinsky, Malewitsch und Mondrian ist derzeit in der Kunstsammlung NRW ausgestellt. Malewitschs wegweisendes Werk "Schwarzes Quadrat"von 1929, Mondrians "Komposition mit Blau, Gelb, Schwarz, Rot" aus dem Jahr 1922 und mehrere überwältigende Gemälde von Kandinsky.

Gleich das Eingangsbild des russischen Malers und Kunsttheoretikers, die farbsprühende "Komposition IV" von 1911, weckt in Günther Uecker eine Erinnerung. Er bleibt lange davor stehen - ist erregt. Er hatte dieses Bild zum ersten Mal in seinem Leben in Ost-Berlin gesehen. Das war 1951, da war er noch ein strammer FDJ, Werkstudent in der Arbeiter- und Bauernförderung, antifaschistisch gesinnt, im Nebenjob für die politische Propaganda im Einsatz. Zutiefst aufgewühlt habe ihn damals der Anblick von Kandinskys abstraktem Gemälde, erzählt er. Irritiert hatte es ihn nachhaltig. Denn er spürte mit einem Mal, was in der Kunst alles möglich sein könnte.

Er selber malte damals noch Auftragsarbeiten, ein 20 Meter hohes Stalin-Porträt war es, das auf Fassaden aufgehängt werden sollte. Wie auch der Dresdner Gerhard Richter wendete Uecker dabei die Raster-Technik an, auf jeweils einem Quadratmeter entstand Detail für Detail, das sich zum martialischen Porträt des Diktators fügte.

Ob es der utopische Gehalt in Kandinskys Bild gewesen sei, der ihn so tief bewegte? Auf Ackermanns Frage gibt Uecker gleich mehrere Antworten: "Ich war arm aufgewachsen, zu Hause bei uns gab es keine Bilder. Ich hatte noch nie in meinem Leben abstrakte Kunst gesehen, noch nie solche menschlichen Zeichen, die sich zu Kunst fügen. Die Abstraktion hat mich dazu gebracht, meine Welt zu öffnen." 1953 siedelte Uecker in den Westen über, suchte Gegenwelten auf, las den Koran und Zen-Weisheiten, um aus seinem "gehirngewaschenen" Leben herauszufinden. Heute ist der Künstler Kosmopolit - in der ganzen Welt wird sein Oeuvre gezeigt und geachtet.

Etwas später, vor Malewitschs Schwarzem Quadrat, gesteht Uecker: "Ich kenne das Bild in- und auswendig, anders als bei Kandinskys polychromen Orgien schwebt hier das Schwarz auf Weiß." Bei Mondrian indes spricht der Künstler von einem determinierten Weiß, von einer "Chiffre der denkbaren Existenz". Er sehe all diese wundervollen Bilder in den schwarz-weiß getönten Räumen mit Leerstellen ganz neu, sagt er und bemerkt, dass er sich an ihnen messen wollte. "Denn sie ragen in die Gegenwart!" Darüber ist Marion Ackermann hoch erfreut. "Das war genau meine Absicht mit dieser Ausstellung."

Das radikalste Bild, der Höhepunkt von Malerei, stelle für sie Malewitschs ganz weißes, fast durchsichtiges Bild "Suprematismus" dar. Uecker stimmt zu. "Da muss etwas in ihn hineingefahren sein, ein mystischer Wahn von universaler Klarheit. Der Betrachter ist so ungeschützt wie das Werk." Ackermann bewertet dieses Bild als Nullpunkt der Malerei, wovon Uecker nichts wissen will. Er selber hatte schließlich mit seinen Zero-Freunden Piene und Mack kurzzeitig die Stunde Null in den 1960er Jahren ausgerufen. "Es geht immer weiter. Die Unendlichkeit ist da, solange man lebt - ein Reichtum des Seins."

Ob das Weiß einen Klang habe, will Marion Ackermann am Ende des Rundgangs wissen. Uecker meint: "Es erzeugt ein kosmisches Rauschen." Und wie viel Weiß die Malerei verträgt? "Ich weiß nicht oder ich weiß", sagt Uecker. Er lacht dabei dröhnend. "Das kann man nur mit Dada beantworten."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort