Dedi Baron "Gewalt ist leider sexy geworden"

Düsseldorf · Die israelische Regisseurin Dedi Baron inszeniert am Düsseldorfer Schauspielhaus "Mord" von Hanoch Levin. Das Stück führt vor, wie die Gewaltlogik in immer noch mehr Gewalt führt - und wie schwer es ist, dieser Logik zu entkommen.

 Die israelische Regisseurin Dedi Baron vor dem Schauspielhaus.

Die israelische Regisseurin Dedi Baron vor dem Schauspielhaus.

Foto: bretz

Dedi Baron wurde 1954 in Tel Aviv geboren. Seit Ende der 90er Jahre arbeitet die Regisseurin regelmäßig am Nationaltheater Habimah in Tel Aviv und unterrichtet dort an der Uni. In ihrer zweiten Arbeit für das Schauspielhaus inszeniert sie das blutige Rachestück "Mord" von Hanoch Levin. Der 1999 gestorbene Dramatiker gehört zu den meist gespielten Autoren Israels.

In "Mord" erschießen israelische Grenzsoldaten einen palästinensischen Jungen. Dessen Vater sucht Rache und ermordert ein Brautpaar, die Gewaltspirale dreht sich weiter. Was wollen Sie einem deutschen Publikum mit diesem Stoff erzählen?

Baron Ich bin ein politischer Mensch und natürlich seit vielen Jahren mit dem Palästinenserkonflikt befasst. Doch wie behandelt man Gewalt ästhetisch? Und wie gewinnt man die nötige Distanz, um Menschen in Deutschland von der Gewalt in unserem Land zu erzählen? Das waren meine Fragen bei dieser Arbeit. Ich denke, es geht in Levins Stück um universelle Themen: Wie schlecht ist der Mensch? Was ist er bereit zu tun, um sich Genugtuung zu verschaffen? Wie reagiert er auf Angst? Da geht es darum, was Menschen zu Tätern und was zu Opfern macht, und das sind Fragen, die Deutsche und Israelis miteinander verbinden.

Kommt Ihnen das Theater manchmal hilflos vor im Angesicht einer Wirklichkeit, die so brutal ist.

Baron Ich habe mich mein Leben lang politisch engagiert, habe Essen zu den Menschen im Gaza-Streifen gebracht und an ähnlichen Aktionen teilgenommen. Das alles ist wichtig. Demonstrieren ist wichtig. Doch genauso berechtigt ist der künstlerische Diskurs, der etwa in einem Theater geführt wird. Levin hat "Mord" vor 16 Jahren geschrieben, aber das Stück ist noch immer aktuell. Das ist schrecklich. Das bedeutet aber nicht, dass das Theater hilflos ist, es bedeutet nur, dass wir nicht aufhören dürfen, uns mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

Kann Theater Frieden stiften?

Baron Ich bin naiv genug, das zu glauben. Ich spüre es in jeder Probe. Dabei ist "Mord" ein pessimistisches Stück - das Spätwerk eines resignierten Autors. Aber ich habe nicht resigniert, ich glaube daran, dass sich nur im Kleinen etwas verändern kann, dass wir nicht nachlassen dürfen, in überschaubaren Gruppen wie einer Theatertruppe und deren Zuschauern über unsere Haltung nachzudenken. "Mord" ist wie ein Schlag ins Gesicht, ein Stück, das die Ausweglosigkeit der Gewaltlogik vorführt. Ich denke aber, dass uns das nicht resignieren lassen darf, sondern dass es uns wachrütteln sollte. Allerdings wünsche ich mir mehr Zuschauer, die nicht ohnehin schon einverstanden sind und engagiert.

Verstehen die Deutschen die Lage in Israel?

Baron Die Deutschen sind aufgrund der Geschichte sehr vorsichtig, wenn sie sich zu Israel äußern. Aber es geht in Israel und in vielen anderen Konfliktregionen dieser Welt doch um die existenzielle Frage, wie wir der Logik der Gewalt entkommen. Ich habe versucht, "Mord" mit den Augen einer Deutschen zu inszenieren. Die Schauspieler stellen auch keine Israelis oder Palästinenser da, es geht um den universellen Konflikt zwischen Menschen, die einander zutiefst misstrauen.

Aber viele Deutsche haben eine Meinung zum Konflikt in Israel, obwohl sie nicht wissen, wie es ist, unter ständiger Bedrohung zu leben.

Baron Das stimmt. Wenn ich hier einen Baum im Hofgarten sehe, denke ich, dass er schon alt ist und wahrscheinlich noch sehr lange dort stehen wird. In Israel schaue ich einen Baum an und denke, wie lange wird er wohl noch stehen? Aber dieser Unterschied ist schwer zu vermitteln. Mich interessieren existenzielle Fragen, die uns verbinden. Das Befremden darüber, dass die Gewaltlogik um sich greift, dass Gewalt sexy geworden ist - in der ganzen Welt. Das darf uns nicht ruhen lassen - Israelis wie Deutsche.

(RP)
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